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FAQ: Wie funktioniert das mit der Uhr als Kompass?

Verfasst: 04 Mär 2006, 12:28
von Ralf
Die Uhr als Kompass – eine Fehlerbetrachtung.

Man findet sie immer wieder, die Anleitung, wie man mit Hilfe der Sonne und einer Armbanduhr die Himmelsrichtung bestimmt. Sie klingt so wunderbar einfach und auch einleuchtend. Aber wie sieht es wirklich aus? Zuerst mal die dann so oder in ähnlicher Form vorgeschlagene Vorgehensweise:

Man nehme die Uhr in die Position Zifferblatt oben und halbiere den Winkel zwischen dem Stundenzeiger und der (oben liegenden) 12. Dann drehe man die Uhr so, dass dieser halbe Winkel in Richtung auf die Sonne zeigt. (Beispiel: Es ist 4:48, also Sonne in Richtung 2:24). Dann zeigt die 12 nach Süden, die 6 nach Norden und so weiter.

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Skizze 1

Es gibt dabei geringfügige Varianten, besonders für Uhren mit 24-Stunden-Zeiger, bei denen man den Winkel nicht halbieren muss, sondern den Zeiger selber nutzt. Oder seine Gegenrichtung, wenn denn die 24 anstatt der 12 oben ist.

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Diagramm 1

Dass dies nur für die Nordhalbkugel gelten soll und man auf der Südhalbkugel Nord und Süd tauschen muss wird meistens unterschlagen.

Als Ausgangspunkt mal ein Vergleich, Datum 1. Mai 2005 und Standort Basel. Geografisch und gerundet ist das 7,6° Ost und 47,5° Nord, MEZ, bzw. am 1.5. MESZ. Damit ist der Sonnenaufgang um 6:13 und der Untergang um 20:41.

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Diagramm 2

Ein Blick auf die Zeitspanne von 10:00 bis 11:00 offenbart eine Abweichung von rund 40°. Das ist nicht wenig. Die Ursache sind 4 systematische Fehler der Methode.

Fehler 1: Die Sommerzeit.
Auf Englisch "daylight saving time". Die ganze Uhr ist um eine Stunde verschoben zwischen dem letzten Sonntag im März und dem letzten So im Oktober (Anmerkung: in Europa, in Nordamerika beginnt sie am ersten Sonntag im April). Sommerzeit verschiebt die Sache um 15° es sollte also um 13:00 die Sonne im Süden sein.

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Diagramm 3

Es bleibt aber immer noch gute 12° Fehler um 13:00 (MESZ) übrig.

Fehler 2: Der Längengrad
MEZ ist auf den Längengrad 15° Ost bezogen, das wäre z.B. Görlitz, Basel ist da schon ein Stück weg, eigentlich auf halbem Weg zu London mit BST (Britisch Standard Time) auf Greenwich bezogen. Wie oben geschrieben bei 7,5° Ost. 15° sind eine Stunde, also genau 30 Minuten für Basel. Es könnte schlimmer sein, Madrid, Spanien ist auch MEZ /MESZ und liegt auf 3,5° West, das wäre dann schon 1 Stunde 14 Minuten.

Damit wäre also Mittag in Basel um 13:30. Falsch, er ist um 13:27. Er ist 3 Minuten zu früh dran.

Fehler 3: Zeitgleichung
Ursache ist die Ellipsenform der Erdbahn plus die Neigung der Erdachse. Folge ist, dass der Tag nur im Mittelwert übers Jahr genau 24 Stunden lang ist. Mal ist er kürzer, mal länger. Diese Abweichung addiert sich auf der Zeitpunkt, wann Mittag ist, verschiebt sich. Nur am 15. April, 13. Juni, 1. September und 25. Dezember ist die Sonne mit der Uhr im Einklang. Unser Beispiel ist am 1. Mai, deswegen "nur" 3 Minuten Abweichung. Ein paar extreme Werte: 11. Februar -15 Minuten; 14. Mai +4; 26. Juli -6 und 3. November +16. In 16 Minuten wandert die Sonne immerhin 4 Grad weiter.

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Diagramm 4

Zum astronomischen Mittag stimmt es jetzt, aber 2 bis 5 Stunden davor und danach sind da immer noch rund 15 Grad Fehler.

Fehler 4: der Breitengrad und die Jahreszeit
Ganz am Anfang hieß es ja, "Uhr in Position Zifferblatt oben", der Winkel in der Horizontalen nennt der Astronom Azimut. Leider bewegt sich die Sonne nicht am Horizont entlang, sondern auch nach vormittags nach oben, nachmittags wieder herunter.

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Skizze 2

Die Sonnenbahn ist gegen den Horizont geneigt. Projiziert man jetzt den Winkel auf der Sonnenbahn (rot) in den Horizont (grün), kommt es zu einer etwas komplexen Transformation des Winkels. Wie die Bahn gekippt ist hängt von zwei Faktoren ab: Je näher man am Pol ist umso niederer steigt die Sonne, je näher am Äquator, um so höher. Zusätzlich verschiebt es sich noch entsprechend der jahreszeitlichen Ausrichtung der Kippung der Erdachse, im Sommer nach Richtung Nord, im Winter entgegengesetzt in Richtung Süd. Je niedriger die Sonne mittags steht, umso gerader wird die Kurve im Diagramm.

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Diagramm 5

Als Gedankenspiel versetze man sich mal zur Tag-und-Nacht-Gleiche auf den Äquator. Den ganzen Vormittag ist die Sonne immer genau in Richtung Ost, unabhängig von der Uhrzeit. Mittags genau über einem, Nachmittags immer in Richtung West. Zwischen den Wendekreisen versagt das Verfahren komplett. Basel war 47,5° Nord, nimmt man aber z.B. Palermo auf 13,4° Ost, 38,1° Nord ist es schon sichtbar schlechter.

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Diagramm 6

Süden = 180° sitzt hier fast perfekt bei 13:00, weil für den Längengrad von Palermo nur +6 Minuten hinzukommt und am 1.5. für die Zeitgleichung (genauso wie in Basel und überall) - 3 Minuten abgezogen werden müssen. Aber über 27° Abweichung von 10:00 bis 11:00 und 15:00 bis 16:00 kann einen auch schon deutlich vom richtigen Weg abbringen. Eigentlich könnte man den Fehler kompensieren, in dem man das Zifferblatt nicht horizontal, sondern in der Ebene des Himmelsäquators ausrichtet. Die Stärke der Kippung entspricht wie gesagt der Differenz der geografischen Breite zu 90° (= dem Pol). Jedoch muss die Kippung um die Ost- West-Achse erfolgen. Solange man aber die Südrichtung nicht kennt – die will man ja ermitteln – führt sich die Sache selbst ad absurdum. Einfach kippen, bis die Sonne selber in der Ebene des Zifferblattes liegt funktioniert auch nicht genau, wegen der jahreszeitlichen Verschiebung der Sonnenbahn zwischen den Wendekreisen.

Es gibt jetzt noch ein paar kleinere Fehler, u.a. weil die Erde sich während des Tages nicht nur um die eigene Achse dreht, sondern auch auf Ihrer Bahn um die Sonne weiterbewegt – und das wegen der Ellipsenform auch noch unterschiedlich schnell übers Jahr. Das ist aber alles zusammen unter 1̊ und somit hier wirklich vernachlässigbar.

Zusammenfassung
Es bedarf einiges astronomisches Zusatzwissens, wann und wo man ist und wie die daraus resultierenden astronomischen Werte dazu sind, um die Methode mit einigermassen Genauigkeit anwenden zu können. Tut man das nicht, liegt man auch nicht besser als mit einer gefühlsmässigen Schätzung über den Daumen. Wer ein über einen brauchbaren Orientierungssinn verfügt, liegt sogar oft besser.

Oder etwas sarkastischer: Ich steh im Wald, die Sonne scheint, ich kenne neben der Uhrzeit meine geografische Länge, habe den aktuellen Wert der Zeitgleichung und der Mittagshöhe im Kopf parat und bin in der Lage, anhand der geografischen Breite eine komplexe Winkeltransformation vorzunehmen, zusammengefasst:

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Diagramm 7

Wenn ich das alles kann, brauche ich dann wirklich noch das Zifferblatt als behelfsmässige Kompassrose?

Re: FAQ: Wie funktioniert das mit der Uhr als Kompass?

Verfasst: 26 Jan 2013, 12:22
von adwardrob
interessant ... thanks for sharing ..
:) 8) :yahoo:

Re: FAQ: Wie funktioniert das mit der Uhr als Kompass?

Verfasst: 20 Feb 2013, 10:45
von matadoerle
Auch hier danke für den sehr ausführlichen und fundiert vorgetragenen Beitrag. Die Methode ist aber beispielsweise bei Nebel am Tag überhaupt nicht schlecht, den größten Fehler kann man mit dem Wissen um die Sommerzeit vermeiden und sehr viel genauer kann man sich in unbekanntem Gelände auch mit dem besten Kompaß der Welt kaum orientieren. Wenn ich genau weiß wo ich bin, brauche ich übrigens auch keinen Kompass mehr - und ein Kompass hat auch einige systematische Fehler (wenn auch Größenordnungen kleiner).