Manufakturgeschwafel....

Allgemeine Diskussionen rund um zeitgenössische Uhren
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Tictacitus
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Re: Manufakturgeschwafel....

Beitrag von Tictacitus »

tomwie hat geschrieben:...

Massenhafte industrielle Produktion per se ist ja nicht unbedingt ein Nachteil, wenn ...
*** Edit Modi: Vollquote gekürzt ***
... Sinn und Tudor. Breitling verbaut Chronometre.
Eben massenhafte Produktion ist nicht unbedingt ein Nachteil. Das ist der einzige Punkt den Rolex mit ETA gemeinsam hat - also Rolex weist nicht die im wesentlichen bei ETA kritisierten Punkte auf. Deshalb muss man Rolex auch nicht verteufeln.

Die Breguetspirale hat nachweisbare Vorteile beim Isochronismus, ebenso die Schraubenunruh fuer die Justage und auch die hoehenverstellbare Unruhbruecke, sowie eine Stosssicherung mehr (weiss jetzt nicht mehr genau unter welchem Rad) und die mit Kif, was normal auch hoeher bewertet wird als das System bei ETA. Dazu jetzt noch die antimagnetische und schockresistentere PCB-Spirale, eine Eigenentwicklung - wie der ganze Rest des Werkes. Von einer 20-30% hoeheren Gangreserve ganz zu schweigen. Dagegen stinkt ETA technisch ab. Und darum geht es ja bei der Diskussion: Faszination von Technik und Savoir faire. Ein 911er und ein Golf GTI bringen Dich beide mit 200 km/h ans Ziel, nur steckt im Porsche eben mehr Technik und der kostet 3x soviel. In der Praxis kann man eh selten schneller als 200 fahren. ;) Die Faszination von Manufakturkalibern ist eben weitaus tiefer und substanzieller als bei den Dingern von der Stange. Insofern kann man wirklich nicht von Manufakturgeschwafel reden, um nicht zu sagen schwafeln.

Ich habe auch eine Uhr mit 2893-2 Werk. Die laeuft de facto fast so genau wie meine Rolex mit 3135. Ist auch eine tolle Uhr in allen anderen Gesichtspunkten (Oris TT1 Worldtime Diver). Und eine Breitling mit 2824 laeuft bei mir auch sehr gut, allerdings nicht ganz so gut wie die Rolex. Alle drei Uhren sind von mir (meinem Uhrmacher) nachreguliert worden, um sie zu optimisieren. Also faire Bedingungen.

Ich war ueberzeugt das Steinhart die TOP Version verarbeitet, sorry. Tun sie aber nur bei einigen wenigen Uhren nicht bei allen. Man koennte aber auch Mido als Beispiel nehmen, die die Commander sogar mit COSC Chronometerversion fuer ca. 500 Euro verkaufen. Die dann allerdings nicht mit Saphir und 300m Wadi.
Der tickt wohl nicht richtig!? Muss nur mal nachreguliert werden.

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tomwie
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Re: Manufakturgeschwafel....

Beitrag von tomwie »

Hi Till,

gut, die von Dir aufgezählten Vorzüge des 3135 von Rolex gegenüber den ("normalen") ETA-Werken will ich nicht verkennen. Sie mögen im Alltag
vlt. gewisse Vorteile aufweisen. Aber ein "Nice-to-have" sind sie jedenfalls. Geb ich zu. Allerdings würde ich nicht soweit gehen, ein 3135
im Vergleich zu einem 2824 oder 2893 in "Top" als Porsche 911 gegen Golf GTI zu bezeichnen (wenn schon das Autobeispiel herangezogen wird).
Dieser Vergleich istv zu krass und wird dem ETA-Werk keinesfalls gerecht. Wenn schon das Industriekaliber 3135 von Rolex mit dem Porsche 911
gleichgesetzt wird, dann würde ich das entsprechende ETA zumindest in der Liga eines BMW 325 i sehen.
Es heißt ja, "Das Bessere ist des Guten Feind". Das gilt natürlich auch für Uhrwerke. Aufs AUTO-Beispiel übertragen, gehöre ich offenbar zu den
Menschen, denen die BMW 325 i-Maschine "genügt". Andere sind so technikbegeistert und begütert, dass es ein 911 oder ein Aston-Martin
(Manufaktur-Motor) sein muss. Deswegen bleibt der 325 i ein ziemlich gutes Auto, um das Beispiel abzuschließen.
Für mich zählt die Gesamtkomposition einer Uhr, also neben dem Werk die Qualitätsanmutung, das Design und natürlich in betimmtem Umfang auch
die Marke (aber nicht allein ausschlaggebend). Eine Uhr muss mir gefallen und für mich stimmig sein. Ob da jetzt ein handmade-zusammengebautes
und mit gertockneten Enzianstengeln finissiertes Manufakturwerk drin sitzt oder ein gutes 2893 (oder bei Omega modifiziert auf Co-Ax 2500), ist dabei
für mich persönlich nicht so extrem wichtig. Aber mir ist bewusst, dass andere hier eben die Prioritäten anders setzen. Uhrenliebhaber können doch beide
Fraktionen gleichermaßen sein. Leute, wir leben in einer Welt, in der die "Normalos" selten mehr als 200 EUR für Uhr ausgeben und du mit `ner
Automatik-Uhr (egal, welche) bei den Normalos ungläubiges Staunen auslösen kannst. Dass wir hier so engagiert über dieses Thema diskutieren, zeigt
doch allein schon, dass wir alle hier doch schon sehr uhrenaffin sind und gemessen an den Normalos auch die ETA-Fraktion schon weit abgehoben von der
Bevölkerungsmehrheit ist (uhrentechnisch gesehen).
Und mal was anderes:
Ich prophezeihe, dass die ETA sukzessive ihre Pläne in die Tat umsetzt und über kurz oder lang keine Fremdfirmen mehr mit Werken beliefert, gleichzeitig aber
die Preise für die Eigenmarken anhebt. Dann wird es im Ensteigerbereich keine Tissot mit ETA-Automatik mehr um 450 EUR geben. Dann wird Omega preislich mit
Rolex gleichziehen (ist ja fast schon soweit) und die nachgeordneten Konzernmarken werden sich ebenfalls entsprechend neu positionieren (Richtung oben). Dann wird
eine Uhr mit Swiss-made ETA-Kaliber keinen Ramschcharakter mehr haben, sondern ein feines Timepiece, das in der ganzen Welt gern für gutes Geld gekauft wird.
Schauen wir mal, wo die Reise hingeht........
Gruß aus Wiesbaden
Tom

Bekennender Eta-Fan
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Hertie
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Re: Manufakturgeschwafel....

Beitrag von Hertie »

Da habe ich eine nette Diskussion angezettelt. Natürlich überspitzt, aber auch mit einem Schuss Wahrheit,denke ich.:mrgreen:

Nun labert mein lästiger Laie schon wieder, sorry......:mrgreen:


"Dieser hohe Qualitätsanspruch und die geradezu excessive Forschung im Manufaktursektor sollte (nach meiner sturen Einstellung) trotzdem vordergründig etwas handfestes liefern. Sprich immer langfristigere servicefreie Intervalle bei tollem Gangverhalten. Erst danach kommt die Detailverliebtheit im optischen Bereich oder Einzelkomponenten. Wenn ich eine alte Universal Geneve öffne und mir ein Microrotorkaliber entgegenlacht, dann ist das für mich etwas Besonderes. Diese Uhren wollten niemanden etwas suggerieren, ausser Uhrmacher haben diese Werke in der Regel gar nie jemand zu Gesicht bekommen. Es war einfach der Anspruch, tolle Uhren zu bauen.

In der Neuzeit hat sich das für mich ein wenig verlagert. Kaufte sich früher jemand eine sündteure Uhr, dann hat er damit das bessere Produkt erstanden. In der Regel eben die langlebigere und ganggenauere Uhr.
Aber heute wird so jemand zum "Luxus-Sammler" degradiert, weil sich eben kein Zusatznutzen mehr zu einem günstigeren Produkt ergibt. Es ist zwar alles soooo viel hochwertiger und trotzdem werden dann nach vier Jahren beim Service fleissig Komponenten gegen Neue getauscht, auch wenn die Uhr die meiste Zeit eh nur zur Hochzeit der Mizzi-Tante und Taufe der Tochter von der zweiten Frau des Mannes neben dem Pfarrer getragen wurde. Und das zu einem Servicepreis, als wäre sie jahrelang am Arm vom kleinen Arbeiter geklebt, welcher den Gotthardtunnel alleine mit einem Krampen durchschlagen hätte.

Die Luxusuhr erfüllt nicht mehr ihren ursprünglichen Selbstzweck: Die Zeit so genau als möglich bei einer mechanischen Uhr anzuzeigen...und das über einen längeren Zeitraum als bei der günstigeren Konkurrenz.Und als Zugabe gibts zum horrenden Aufpreis dafür noch jede Menge Glitzern in den Augen des Besitzers. Aber nein, die Funktionalität ist plötzlich nicht mehr so wichtig. :mrgreen:
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Tictacitus
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Re: Manufakturgeschwafel....

Beitrag von Tictacitus »

Hi Tom,

OK, meinetwegen 325i statt Golf GTI. Kommt auf's gleiche raus fuer mich, wobei ich dann den BMW vielleicht noch vorziehen wuerde, aber ich bin beide Autos lange nicht mehr gefahren.

Bezueglich "ETA liegt schon weit ueber Normalo" gebe ich Dir voellig recht. Ganz klarer Fall. Aber wir reden ja hier schliesslich nicht unter Normalos sondern unter Irren verschiedenen Grades. :mrgreen:

@ Hertie Jawohl, interessante Diskussion und formal lobenswerter Threadstart, selbst wenn ich inhaltlich nicht d'accord gehe. Uebrigens meine Explorer 1 von 1990 hat es 20 Jahre lang ohne Revi geschafft. Einmal habe ich sie nachregulieren lassen (so ca. 1999). 2010 Revi, wo soviel ich weiss keine Teile ausgetauscht worden sind. 2012 war irgendein Rad dann hinueber. Die Uhr blieb stehen. Reparatur 60 Euro.

Meine JLC tut Dienst seit 1996. Einmal wegen angelaufenem ZB eingeschickt. Auf Kulanz. Einmal glaube ich Revi (ca 2004/5). Dabei wurde die Krone ausgetauscht, die wohl gebrochen war (Tubus) aber dennoch aufzog. Die haben mir nicht mehr Details gegeben. Sonst keine Austauschteile vermerkt. Die habe ich neulich wieder zum Uhrmacher gebracht. Der hat sie gruendlich angeguckt und den Abfallfehler nochmal verbessert. Ansonsten keine Revi noetig sagt er.

Vergleich Panerai ETA 6497. Noch in der Garantiezeit blieb die kleine Sekunde stehen. Cartier Service in Paris miserabel. Beim ersten mal nach mehr als 6 Wochen Fehler nicht gefunden. Beim Haendler Fehler dann nochmals demonstriert. Zweites Mal eingeschickt. Mehr als acht Wochen spaeter repariert zurueck. Das war 1999. 2010 zog die Uhr nicht mehr auf. Generalueberholung durch Panerai (bei Wempe Berlin abgegeben). Rechnung war sehr hoch. Ich kann mich zum Glueck nicht mehr genau erinnern, aber das waren entweder 400 oder gar 700 Euro. Abzocke bei einem simplen Dreizeiger Handaufzug. Allerdings, Uhr sah aus wie neu und laeuft super gut jetzt: +1s am Tag, manchmal sogar besser.

Till
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StillerLeser
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Re: Manufakturgeschwafel....

Beitrag von StillerLeser »

Hertie hat geschrieben:Und als Zugabe gibts zum horrenden Aufpreis dafür noch jede Menge Glitzern in den Augen des Besitzers. Aber nein, die Funktionalität ist plötzlich nicht mehr so wichtig. :mrgreen:
Genau! Aber lassen wir doch den CEO einer bekannten Uhrenfirma selbst zu Wort kommen:

http://www.watch-insider.com/iwc-ceo-ge ... ort-haben/

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Andi
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Re: Manufakturgeschwafel....

Beitrag von Andi »

Jetzt macht die Überschrift in diesem Thread endlich Sinn :mrgreen:
Viele Grüße Andi!

Ein kluger Mann macht nicht alle Fehler selbst. Er gibt auch anderen eine Chance.
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Dan321
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Re: Manufakturgeschwafel....

Beitrag von Dan321 »

Dieser Thread zeigt eindrücklich, wie unterschiedlich die intellektuellen Fähigkeiten des Menschen doch sein können. Um keine langfristigen Hirnschäden zu riskieren, sind Dekostops zwischen im Anspruch zu unterschiedlichen Beiträgen empfohlen. :mrgreen:

Gruss Daniel
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Hertie
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Re: Manufakturgeschwafel....

Beitrag von Hertie »

Dan321 hat geschrieben:Dieser Thread zeigt eindrücklich, wie unterschiedlich die intellektuellen Fähigkeiten des Menschen doch sein können. Um keine langfristigen Hirnschäden zu riskieren, sind Dekostops zwischen im Anspruch zu unterschiedlichen Beiträgen empfohlen. :mrgreen:

Gruss Daniel
Eigentlich bin ich ja glücklich, auch als intellektuell Unwürdiger diese horologischen Meisterwerke ohne Zugangsbeschränkung frei erwerben zu dürfen. :D
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Dan321
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Re: Manufakturgeschwafel....

Beitrag von Dan321 »

Hertie hat geschrieben:Eigentlich bin ich ja glücklich, auch als intellektuell Unwürdiger diese horologischen Meisterwerke ohne Zugangsbeschränkung frei erwerben zu dürfen. :D
Das bin ich natürlich auch. Ich schätze deine intellektuell unwürdigen Vorstellungsthreads! :wink:

Gruss Daniel
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playman205
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Re: Manufakturgeschwafel....

Beitrag von playman205 »

Hertie hat geschrieben:Die Luxusuhr erfüllt nicht mehr ihren ursprünglichen Selbstzweck: Die Zeit so genau als möglich bei einer mechanischen Uhr anzuzeigen...und das über einen längeren Zeitraum als bei der günstigeren Konkurrenz.
Du betrachtest eben nur einen kleinen Ausschnitt der technischen Designvorgaben einer mechanischen Uhr, das ist Dein Denkfehler. Die Ganggenauigkeit einer einfachen Uhr ist dank moderner Fertigungsprozesse - zumindest im Neuzustand - im gleichen Rahmen zu halten wie bei einer hochwertigen Uhr, wenn man vielleicht mal von Temperatureinflüssen abstrahiert. Aber Reparaturfreundlichkeit, Gangreserve mit Berücksichtigung einer möglichst konstanten Ganggenauigkeit beim Ablauf, Bauhöhe, Regulierungsmöglichkeiten, Stabilität der Regulierung gegen Stöße, Effizienz des automatischen Aufzugs, vertikale Kupplung bei Chronographen, qualitative Verarbeitung an beanspruchten Teilen, die man nicht sieht (z.B. Stellmechanismus, Präzision der Fräsung beim Räderwerk, ...), Verwendung von aus dem Vollen gefrästen Federn statt simplen Drahtfedern, es gibt unendlich viele Themen, wo bessere Werke hmmm... besser sind. :wink: Man kann sich entschließen, das für sich einfach auszublenden. Aber das ändert nichts daran, dass es da ist.
Hertie hat geschrieben:Und als Zugabe gibts zum horrenden Aufpreis dafür noch jede Menge Glitzern in den Augen des Besitzers. Aber nein, die Funktionalität ist plötzlich nicht mehr so wichtig. :mrgreen:
Dieser Thread zeigt uns etwas ganz und gar Zeitgeistiges: Je weniger umfassend man einen bestimmten Bereich erfasst, desto niedriger kann man seinen Anspruch daran aufhängen. Das passiert heute überall und läuft unter "Downsizing". Alles fällt darunter, Nahrungsmittel sinken auf die Qualität von Hundefutter, Kleidung auf billigstes Gewebe bei Primark und Kik, Möbel sind heute aus Pressirgendwas statt aus massiven Materialien. Dann setzt man den Preis weit genug unten an, damit der Verbraucher meint, er hätte Geld gespart, aber trotzdem noch auf einem absurden Vielfachen der eigenen Kosten. Das funktioniert, weil der besagte Verbraucher (oder nennen wir ihn den "lästigen Laien" :D) nur einen Bruchteil der Kriterien zur Beurteilung anlegt, die er könnte, wenn er die Gänze des Bereichs erfassen würde. Meistens ist der Preis bei ihm ganz vorn dabei. :D

In zehn Jahren, wenn Du Dir ETA-Uhren nicht mehr leisten kannst, wird der lästige Laie in Dir hier einen Thread eröffnen mit dem Titel "Mechanikgeschwafel...." und provokativ fragen, wo denn eigentlich der Vorteil einer ETA-Uhr gegenüber einer Quarzuhr liegt. Wartungsärmer, ganggenauer, weniger anfällig gegen Umwelteinflüsse, so ein Fossil-Quarzticker ist schon eine tolle Uhr und kostet viel weniger. Da wäre man doch blöd, wenn man noch diese veraltete..., man hat doch gar nix davon. :mrgreen: Klar wäre man das. Voraussetzung wäre aber, dass man die ganze Dimension, die Uhrenmechanik ausmacht, technisch, kunsthandwerklich, intellektuell, kulturell, historisch, emotional, ästhetisch, gar nicht wahrnimmt.

Holger
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Uhrgestein
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Re: Manufakturgeschwafel....

Beitrag von Uhrgestein »

Bravo Holger!! Sehr gut auf den Punkt gebracht.
Respekt vor Deiner exakten Analytik.

Deinen Worten kann ich nur beipflichten! Weiter so :D

Das Abendland mit seiner Kultur braucht Leute, die über den Tellerrand rausblicken.

Gruss
Uhrgestein
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Best regards
Uhrgestein
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lottemann
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Re: Manufakturgeschwafel....

Beitrag von lottemann »

playman205 hat geschrieben:...
Hertie hat geschrieben:Und als Zugabe gibts zum horrenden Aufpreis dafür noch jede Menge Glitzern in den Augen des Besitzers. Aber nein, die Funktionalität ist plötzlich nicht mehr so wichtig. :mrgreen:
Dieser Thread zeigt uns etwas ganz und gar Zeitgeistiges: Je weniger umfassend man einen bestimmten Bereich erfasst, desto niedriger kann man seinen Anspruch daran aufhängen. Das passiert heute überall und läuft unter "Downsizing". Alles fällt darunter, Nahrungsmittel sinken auf die Qualität von Hundefutter, Kleidung auf billigstes Gewebe bei Primark und Kik, Möbel sind heute aus Pressirgendwas statt aus massiven Materialien. Dann setzt man den Preis weit genug unten an, damit der Verbraucher meint, er hätte Geld gespart, aber trotzdem noch auf einem absurden Vielfachen der eigenen Kosten. Das funktioniert, weil der besagte Verbraucher (oder nennen wir ihn den "lästigen Laien" :D) nur einen Bruchteil der Kriterien zur Beurteilung anlegt, die er könnte, wenn er die Gänze des Bereichs erfassen würde. Meistens ist der Preis bei ihm ganz vorn dabei. :D
...
Holger
Hallo Holger,

ich glaube, hier machst Du einen Denkfehler.
Du korrelierst "Downsizing" mit sinkenden Preisen und übersiehst dabei
m.E., dass die Uhrenindustrie (evtl. die Luxusindustrie im allg, da weiss
ich aber nix drüber) ohne rot zu werden für jeden Schnickschnack, auch
wenn er keinerlei Nutzen bringt happige Zuschläge verrechnet.
Wenn ich die Diskussionen der letzten Jahre recht im Kopf habe ist es
auch durchaus so, dass man in der "guten alten Zeit" z.B. Stahl für Wellen
erst gehärtet und dann gedreht hat, was zu bedeutend längerer Haltbarkeit
führt als erst zu drehen und dann (oberflächen) zu härten.
Deshalb kann der Uhrmacher ohne Funktionseinschränkung einer alten Uhr
einen kleineren Lochstein und eine nachgedrehte Welle verpassen während
die neue Uhr eine neue Welle braucht.
Das dafür aber (weil die Herstellung ja leichter und billiger geworden ist)
zu einem x-fach höheren Preis.
Hier funktioniert "Downsizing" mit Preiserhöhung, weil kaum noch ein Kunde
weiss, was eine mechanische Uhr könnte, wenn man denn als Konstrukteur
und Hersteller an etwas anderem interessiert wäre als an Profit und
"Emotionen".

Mit Neuuhren habe ich fertig. Struuuunz.

Michael
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playman205
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Re: Manufakturgeschwafel....

Beitrag von playman205 »

lottemann hat geschrieben:Du korrelierst "Downsizing" mit sinkenden Preisen und übersiehst dabei
m.E., dass die Uhrenindustrie (evtl. die Luxusindustrie im allg, da weiss
ich aber nix drüber) ohne rot zu werden für jeden Schnickschnack, auch
wenn er keinerlei Nutzen bringt happige Zuschläge verrechnet.
Ich lese auch Preislisten. :D Aber was ich vor allem sehe, ist, dass Uhren mit einfachen Werken mindestens in gleichem Maße im Preis steigen wie die Uhren, die ich interessant finde. Bei Uhren sehe ich diesen Downsizing-Aspekt also eher in der Relation.
lottemann hat geschrieben:Mit Neuuhren habe ich fertig. Struuuunz.
Naja. Du weißt, dass ich ein Bruder im Geiste bin. Im Moment würde ich sogar fast sagen, mit Uhren habe ich fertig. Außer eben mit meinen eigenen, die ich schon habe. :wink: Naja, abgesehen vielleicht von einem schönen Exemplar einer Zenith El Primero (neu oder alt). Oder einer Omega mit 8500er Kaliber. Oderoderoder. :wink:

Es gibt immer noch Neuuhren, die ich bewundere und die ich gut gemacht finde. Vielleicht nicht immer ganz so gut gemacht, wie sie für den Preis sein könnten, wenn man das mit der jüngeren Vergangenheit vergleicht. Aber irgendwas ist ja immer. :wink: Eine ernsthafte günstige Alternative (außer Konsumverzicht) sehe ich nicht.

Holger
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u2112
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Re: Manufakturgeschwafel....

Beitrag von u2112 »

... was man aber bei aller Fazination für Uhrwerke nicht vergessen sollte: Eine Uhr besteht nicht nur aus dem Werk, ebenso wenig, wie ein Auto nur aus dem Motor besteht. Und auch wenn einen die Technik begeistert, bleibt es doch am Ende ein "Uhren"-Forum für "Uhren"-Fans - mehr als ein "Uhrwerks"-Forum für "Uhrwerks"-Fans.

Wir haben ja schon festgestellt, dass alleine "Manufaktur" noch kein gutes Werk macht. Insbesondere viele generische Neuentwicklungen der letzten Jahre sind einfach langweiliges, gesichtsloses Blech. Ich denke da insbesondere an Werke aus den beliebten Lohnfertigungsschmieden, bei denen am Ende nur Mini-Unruhen kombiniert mit Genfer Streifen-Wüsten herauskommen - da kann ich nichts werthaltigeres erkennen, als es in banalen ETA-Werken steckt.

Was nun die wirklich "hochklassigen" Werke, ob neu oder alt, angeht, so fällt es mir schwer, hier von der Uhr als Ganzes zu abstrahieren. Nehmen wir mal das erwähnte Kal. 2120/2121 als Beispiel - dieses Werk wurde in Modellen verbaut, die absolute Weltklasse sind und zurecht bis heute (und lange darüber hinaus) in den Herzen vieler Uhrenfreunde sind. Gleichzeitig wurde es aber auch in Modellen verbaut, die man heute zurecht nur als potthässlichen Schrott bezeichnen kann, der sich nur mit der Verzweifelung der 70er Jahre rechtfertigen lässt. Uhren aus der letzteren Kategorie kann man heute für ganz kleines Geld kaufen, auch in Edelmetall braucht es da wenig mehr als 2000 Euro. Nur: Zeigt man besonderen "Anspruch" oder "Detailkenntnis" oder "Ernsthaftigkeit" wenn man solche Uhren kauft? Das wage ich zu bezweifeln, denn im Gegenzug würde ich hier viele Modelle vorziehen, die zwar als Werk nur ein "banales" ETA/VJ/ etc. verbaut haben, aber im Gesamtpaket schlicht die "bessere/interessantere/etc." Uhr sind. Z.B. ein 3700-Titan-Chrono ist in meinen Augen in der Gesamtsicht deutlich jedem rechteckigen lapis-lazuli Ungetüm in Weißgold überlegen - und wenn noch so toll ein 2120 drin tickt.

Dinge wie Design, technische Funktionalität und Originalität sind untrennbar mit der Qualität einer Uhr verbunden - und nicht auf das Werk beschränkt. Eine Ocean Bund AMAG würde ich z.B. als größere technische und auch "horologische" Leistung einschätzen, als irgendeinen Fließband-Tourbillon mit minimaler Pseudo-Innovation.

Und die wirklich wertvollen Uhren, die echten "Klassiker" punkten in allen Dimensionen, quasi als Gesamtpaket. Betrachtet man nur das Werk, gibt es keinen Qualitätsunterschied zwischen einer Royal Oak und den genannten Rechteck-Trümmern. Aber eine Royal Oak verbindet eben ein Weltklasse-Werk mit einem Weltklasse-Design und war gleichzeitig eine Weltklasse-Innovation, die in der tiefsten Krise das vielleicht erfolgreichste Uhrenmarktsegment überhaupt begründet hat. Und ähnliches könnte man auch für eine Patek Calatrava oder in der Moderne eine Lange 1 sagen - ich würde es aber auch für Speedmaster, Submariner, FF etc. pp. gelten lassen, auch wenn die vielleicht in der Dimension "Werk" nicht voll punkten, machen sie es eben in anderen Dimensionen wett. Und es gibt eben auch ETA-basierte Klassiker, die trotz Abzügen in der "Werknote" als Gesamtpaket Weltklasse-Uhren sind - und in meinen Augen sehr wohl sammelwürdig, auch für jemanden, der eine tiefere horologische Begeisterung verspürt.

Gruß,
Christian
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Grantler
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Wohnort: LA (nicht L.A.!)

Re: Manufakturgeschwafel....

Beitrag von Grantler »

StillerLeser hat geschrieben:http://www.watch-insider.com/iwc-ceo-ge ... ort-haben/

Emotionen ... 8)
Es geht nur um Emotionen ...
Bei 8:17 haben sie sogar eine richtige Uhr im Film :mrgreen:


Andi
"Das Problem mit Zitaten aus dem Internet ist, dass man nie weiß ob sie echt sind."
(Abraham Lincoln)
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