Marken-Geschichte, Story-Telling, Qualitäts-Management - und ein heiliger Gral...

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u2112
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Marken-Geschichte, Story-Telling, Qualitäts-Management - und ein heiliger Gral...

Beitrag von u2112 »

Liebe IWC-Freunde,

die Uhrenbranche erlebt zur Zeit nach einem langen Boom mal wieder ein etwas anspruchsvolleres Marktumfeld - China, Brexit, Terror etc. führen verstärken die Rotationen in den Chefetagen und reduzieren die Rotationen in den Lagern und Auslagen. Im Zuge der Krise müssen manche Marken sogar Ware zurücknehmen, die unverkäuflich geworden ist. Edelmetalle werden dabei eingeschmolzen, die Werke wandern zurück ins Regal und warten auf neue Verwendung.

Nach allem, was man so hört, hat IWC diese Krise bisher nicht so stark getroffen und so ist der CEO auch nicht rausgeflogen, sondern befördert worden. Der Kern des Erfolges (welche ein Wortspiel 8) ) liegt dabei in den "Drei P" (Portugieser, Pilot & Portofino) - diese drei Kollektionen ziehen relativ unerschütterlich ihre Bahnen und sorgen für gut drei Viertel des Gesamtumsatzes. Alle "Ps" haben dabei eine Gemeinsamkeit, wenn man in die Marken-Geschichte zurückschaut: Sie haben ihre Wurzeln in übergroßen Armbanduhren, die mit Taschenuhrwerken bestückt wurden. Bei den Portugiesern waren es die berühmten portugiesischen Kaufleute, die 1939 robuste Uhren mit dem Kal, 74 SC (später Kal. 98) orderten. Bei den Fliegern die mehr berüchtigt als berühmte deutsche Luftwaffe, die sich ab 1940 B-Uhren mit 55mm Durchmesser und dem Kal. 52 SC in Auftrag gab. Beides waren eher Kleinstserien, bei der Fliegeruhr wurden 1200 Exemplare geliefert, von der ersten Generation der Portugieser Ref. 325 gab es knapp 600 Exemplare (+ ca. 50 "Missing Links"). Keine dieser Ursprungsserien war aber so klein, wie bei der Portofino: Die Ur-Portofino Ref. 5251 wurde nur 325 Mal verkauft, obwohl sie 18 Jahre lang in der Kollektion war.

Das Design der Ref. 5251 war sehr eigenwillig - ein für die damalige Zeit enormer Durchmesser (46mm), eine extrem flache Höhe (6mm) und die sehr dünne Lünette lassen diese Uhr riesig erscheinen. Und doch ist sie durch die kurzen Hörner sehr gut tragbar - über alles beträgt die Länge nur 51mm, nur 1mm mehr als bei einer Mark XVIII :shock: :

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(c) http://ninanet.net/watches/others05/Med ... C5251.html

Doch die Ursprungsgeschichte der Portofino beginnt nicht mit der Ref. 5251, sondern früher. Eine große Stärke der Kern'schen IWC ist ja das Story-Telling, mit dem jede Kollektion nochmal historisch aufgeladen wird. Und so findet sich auch für die Portofino die offizielle Legende auf der IWC-Webseite:

http://www.iwc.com/en/experiences/forev ... portofino/

Und wie das bei Geschichten so ist, nicht immer ist es am Ende so ganz deckungsgleich mit den Fakten :whistling: . So kam die Ref. 5251 nicht 1984 zur Welt, sondern wurde bereits 1981 in die Kollektion aufgenommen:

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Allerdings wurde diese Referenz im Band "Sämtliche Taschenuhren" geführt, das kann einem schon mal durchrutschen :whistling: :

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Auf dem Foto ist dann auch der wahre Ursprung der Portofino zu entdecken: Eine Taschenuhr :D . Ende der 1970er Jahre hatte IWC in der Verzweiflung der Quarz-Krise alles auf das Segment der hochwertigen Taschenuhren gesetzt. Diese Geschichte hatte ich hier schon mal etwas ausführlicher dargestellt:

https://forum.watchtime.ch/viewtopic.php?t=64370

Neben den ersten Kalenderuhren von Kurt Klaus (den Urahnen des noch heute verwendeten Ewigen Kalenders), wurde ein klassisches Dreizeiger-Modell der damaligen Zeit mit einer Mondphase aufgewertet: Aus der Ref. 5201 mit dem ultra-flachen Kaliber 952(0) wurde die Ref. 5250 mit dem Kal. 9521. Diese Uhr wurde erstmals 1979, direkt nach der Übernahme durch VDO vorgestellt:

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Doch obwohl man damals schon den Marketingslogan vorwegnahm, der Jahre später Patek reich machen sollte :lupe: ...

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... blieb der wirtschaftliche Erfolg aus - die Ref. 5250 war ein Ladenhüter. Und so saßen Konstrukteur Kurt Klaus und Chef-Designer Hanno Burtscher (bekannt als Schöpfer der runden Da Vinci) der Legende nach eines Abends in der Kneipe zusammen, um zu überlegen, wie man das Modell retten konnte. Eine kurze Skizze auf dem Bierdeckel begründete die Idee: Aus der Taschenuhr einfach eine Armbanduhr machen, in dem man das Werk um 90 Grad dreht, so dass die kleine Sekunde auf die 9 wandert (wie man es später bei der Minutenrepetition Ref. 5240 erneut gemacht hat):

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Diese Ref. 5240 war immer mein "Heiliger Gral" der Armbanduhren - zusammen mit der Ref. 5441 die schönste IWC der Geschichte :verneig: . Die ausführliche Vorstellung findet sich hier:

https://forum.watchtime.ch/viewtopic.php?f=4&t=57263

Leider musste diese Uhr im Zuge des Hauskaufs gehen :crying: :roll: , aber vielleicht kommt sie ja irgendwann wieder...

Bei den Taschenuhren hatte ich auch so einen heiligen Gral, eben jene Ur-Portofino-Taschenuhr Ref. 5250 in Gold. Zwar sind solche "Gral-Uhren" im Taschenuhr-Segment deutlich günstiger als das Armbanduhren-Gegenstück, dafür sind sie leider umso seltener. Genaue Zahlen sind nicht bekannt, aber vermutlich wurden nicht viel mehr als 100 dieser Uhren gebaut - trotz der langen Bauzeit von 1979 bis 1995. Die Preise haben nicht geholfen, 1979 ging es mit 5070,- DM los, 1980/81 waren es 6.600,- DM und (auch durch die Turbulenzen am Gold- und Währungsmarkt) schnellte der Preis dann 1982 auf 11.200,- DM hoch - übrigens wurde für die Armbanduhrversion 5251 immer der gleiche Preis angesetzt. Für das Geld hätte man so einige Subs oder Daytonas kaufen können :mrgreen: . Die Preissteigerung danach war angesichts des mauen Absatz dann eher minimal, 1995 kostete die 5250 am Ende 14.900 DM.

Nach dieser Uhr habe ich seit gut 5 Jahren aktiv gesucht. Und einmal war ich eigentlich schon fündig geworden, als Teil eines Deals zwischen zwei IWC-Taschenuhr-Sammlergrößen. Doch leider entpuppte sich die Portofino-Variante als eine Ref. 5252, also die Version mit Tula-Silber-Gehäuse. Das war nicht so meins, fand aber auch einen (hier nicht unbekannten) Abnehmer:

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(c) Heiko

Doch nur knapp 2,5 Jahre später hatte ich endlich Erfolg: Eine Ref. 5250, in Gold, komplett mit Box und allen Papieren aus erster Hand :yahoo: :

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Ein Traum-Paket - und dazu kommt noch eine Besonderheit, die das Sammlerherz höher schlagen lässt. Aber dazu später mehr im zweiten Teil :mrgreen: ...

Gruß,
Christian
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u2112
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Re: Marken-Geschichte, Story-Telling, Qualitäts-Management - und ein heiliger Gral...

Beitrag von u2112 »

... so, nach all dem Gerede wird es Zeit für ein paar Bilder :D :

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Die Mondscheibe ist ganz dünn mit Goldfluss belegt, was den sehr schönen "Sternen-Himmel"-Effekt ermöglicht. Sowas gibt es heute nicht mehr :lupe:

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Und jetzt fällt dem geschulten Auge schon eine echte Besonderheit dieser Uhr auf - ein Sammlertraum, aber an anderer Stelle dürfte es rote Köpfe gegeben haben :oops: . Zur Unterstützung hier nochmal das zugehörige Blatt aus dem Händler-Handbuch:

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Heiko darf natürlich nicht mitraten, der weiß sofort, worum es geht :mrgreen:

Gruß,
Christian
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Thomas H. Ernst
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Re: Marken-Geschichte, Story-Telling, Qualitäts-Management - und ein heiliger Gral...

Beitrag von Thomas H. Ernst »

Wow ... :shock:
Grüsse Thomas
Euer Board-Admin
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kochsmichel
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Re: Marken-Geschichte, Story-Telling, Qualitäts-Management - und ein heiliger Gral...

Beitrag von kochsmichel »

Ein toller Bericht, für den ich mich herzlich bedanke :D

Und die Besonderheit? "Email "?
Light side of the mood!
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cool runnings
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Re: Marken-Geschichte, Story-Telling, Qualitäts-Management - und ein heiliger Gral...

Beitrag von cool runnings »

Mit der Uhr kannst du nie um 8 Uhr aufstehen. :wink:

Wieder eine geniale und lehrreiche Vorstellung. Viel Freude mit der schönen Uhr.
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Andi
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Re: Marken-Geschichte, Story-Telling, Qualitäts-Management - und ein heiliger Gral...

Beitrag von Andi »

Mein Bier um 8 Uhr :mrgreen:
Viele Grüße Andi!

Ein kluger Mann macht nicht alle Fehler selbst. Er gibt auch anderen eine Chance.
Sir Winston Churchill
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3fe
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Re: Marken-Geschichte, Story-Telling, Qualitäts-Management - und ein heiliger Gral...

Beitrag von 3fe »

Hammer, Christian!

Kompliment für diese Vorstellung und Glückwunsch zu diesem Stück Zeitgeschichte. :thumbsup: :P

Was hat es mit der doppelten VII auf sich?
Beste Grüsse
Jörg


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PinkFloyd
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Re: Marken-Geschichte, Story-Telling, Qualitäts-Management - und ein heiliger Gral...

Beitrag von PinkFloyd »

cool runnings hat geschrieben: 05 Feb 2017, 19:13 Mit der Uhr kannst du nie um 8 Uhr aufstehen. :wink:

Wieder eine geniale und lehrreiche Vorstelclung. Viel Freude mit der schönen Uhr.
Wow - dem kann ich mich nur anschließen :thumbsup:
Beste Grüße
... FAILURE IS NOT AN OPTION
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mrdata
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Re: Marken-Geschichte, Story-Telling, Qualitäts-Management - und ein heiliger Gral...

Beitrag von mrdata »

Glückwunsch zur IWC Tuesday :yahoo: :wink: (war wohl der gleiche ZB Designer wie bei der Omega verantwortlich)
Schön, dass sie nach so langer Suche, den Weg zu Dir gefunden hat!
Dirk
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schlumpf
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Re: Marken-Geschichte, Story-Telling, Qualitäts-Management - und ein heiliger Gral...

Beitrag von schlumpf »

Ist DAS eine wunderschöne Uhr, Gratulation!!! Und toll geschrieben, Danke für die Mühe! :thumbsup:
Schöne Uhrengrüße, Gerhard
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C.95
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Re: Marken-Geschichte, Story-Telling, Qualitäts-Management - und ein heiliger Gral...

Beitrag von C.95 »

Christian, deine Hartnäckigkeit ist mal wieder belohnt worden, das freut mich.

Die richtige Uhr beim passenden Sammler, das ist perfekt.

Meinen Glückwunsch zu dieser absoluten Rarität, Christian.

Tatsächlich habe ich schon häufiger überlegt, die Gehäuse der 5252 Tula mit der 5201 zu tauschen :-)

Na ja, mindestens eine Tula sollte jeder in der Sammlung haben, zumal dieses Handwerk nicht mehr ausgeführt wird.

Deine Vorstellung hat das bestärkt, denn die 5252 und die 5201 werde ich garantiert behalten und ein Rückbau ist jederzeit möglich.

Hoffentlich findet sich eine zeitnahe Gelegenheit, deine Neuerwerbung mal mit - meinem dann fertigen Umbau - zu vergleichen ?!

Beste Grüße
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u2112
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Re: Marken-Geschichte, Story-Telling, Qualitäts-Management - und ein heiliger Gral...

Beitrag von u2112 »

... tja, das war damals wohl ein klassischer Fall von "gepennt" - die Zifferblätter wurden ja extern produziert und nach einer Designvorlage wird dafür der entsprechende Druckstempel hergestellt. Und da hat einfach jemand einen Strich zu wenig gemalt :shock:

Das ist niemandem aufgefallen, weder in der Druckvorbereitung, noch nach dem Druck beim Zulieferer, noch bei der Eingangskontrolle bei IWC, noch bei der Montage, auch nicht bei der Endkontrolle. Das geniale ist aber, dass sie das falsche Blatt sogar in allen Unterlagen hatten:

Im Händler-Workbook:

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Und auch im Katalog:

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Zitat: "Alle Merkmale einer hochwertigen Qualitätsuhr" :mrgreen:

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Sie haben es dann doch irgendwann gemerkt und im nächsten Katalog von 1981 ist dann das richtige ZB abgebildet:

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Wenn man nicht drauf achtet, fällt es nicht wirklich auf - vermutlich hat sich das auch niemand vorstellen können:

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Es gibt von diesem Fehldruck-Exemplaren auch nicht so viele: November 1979 war die Uhr erstmals im Katalog, mein Exemplar wurde 1980 beim Händler bestellt und dann im Januar 1981 vom Konzi übergeben. Direkt danach muss man es gemerkt haben, da wie gesagt der 1981er Katalog schon passt.

Die wenigen bekannten 5250 haben fast alle das richtige Blatt, liegen aber von den Gehäusenummern auch deutlich später als meine. Bekannt sind mir nur weniger als eine Handvoll der "Doppel 7" - u.a. hat Ralph Ehrismann aus dem IWC-Forum auch eine.

Aus Sammler-Sicht natürlich ein Traum - wenn man überlegt, was bei Rolex wegen irgendwelcher Kleintext-Serifen für ein Gewese gemacht wird, ist das hier schon eine andere Liga :mrgreen:

Gruß,
Christian

P.S.: Übrigens hatte IWC wenig später noch so einen Treffer - die berühmte Reiseuhr mit Weltzeitanzeige und der bekannten Metropole "Sidney" auf der Lünette...

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(c) http://www.watchprosite.com/page-wf.for ... i-3905116/
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alinghi74
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Re: Marken-Geschichte, Story-Telling, Qualitäts-Management - und ein heiliger Gral...

Beitrag von alinghi74 »

Einmal mehr eine spannende und gelungene Vorstellung einer wunderschönen Uhr. Danke vielmals dafür! :thumbsup:
Gruss alinghi74

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möhne
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Re: Marken-Geschichte, Story-Telling, Qualitäts-Management - und ein heiliger Gral...

Beitrag von möhne »

Hallo Christian,
Ein toller Beitrag! Und was für eine tolle IWC. Schade, das heute nichts Vergleichbares mehr in Schaffhausen gebaut wird......

Gruß!

Klaus
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