Re: BRÜGGLER - SWISS MADE TO MEASURE
Verfasst: 01 Aug 2016, 15:45
Ein paar Gedanken zum Thema "maßgefertigte Uhren":
Grundsätzlich wird man mit "vernünftigen" Customizing-Wünschen bei jeden kleineren, Eigner-geführten, unabhängigen Unternehmen offene Türen eintreten.
Dass größere Marken damit in der Regel Probleme haben erklärt sich aus
1. den notwendigen Verwaltungsaufwand für z.B. einen Roten Zeiger auf einer einzelnen Uhr aus einer Serie von z.B. 1.000 Stück und mit
2. Markenpolitischen Erwägungen
Je größer das Unternehmen und damit die Produktionszahlen desto weniger interessant ist das Ganze als Geschäftsmodell.
Als wir 2004 mit unserem ersten Produkt angefangen haben, hatten wir um eine bestehendes Werk herum ein modulares System entwickelt welches es erlaubte (noch immer erlaubt) Uhren nach Kundenwunsch zu konfigurieren und dies bezieht alles bis hin zum Uhrwerk und dessen Funktionen ein. Wir hatten 2007 das System sogar weiterentwickelt indem wir eine damals neue Werkbasis "adoptierten" welche durch eigene wie auch fremde Zusatzmodule erweitert werden konnte. Die Bandbreite reichte (reicht) dabei von der einfachen Dreizeiger-Handaufzugsuhr, über Automatik, Datum, Kalendarium, Gangreserveanzeige, 2. Zeitzone bis zu Tourbillon, Repetition oder Chronos aller Art bis hin zum Schleppzeiger-Chrono. Wir sind jetzt – seit 2014 und der Vorstellung unseres eigenen Werks – dabei das s.g. modulare System wieder zurückzufahren. Dies u.a. aus folgenden Gründen:
Ein Großteil der Kunden tut sich schwer damit seine eigenen Ideen einzubringen weil sich viele schwer damit tun sich etwas vorzustellen. Stichwort: Ich stelle mir vor wie die Uhr statt dem orangen mit einem roten Sekundenzeiger aussieht. Das klingt jetzt banal, ist aber letztlich nicht einfach zu handeln weil ja der Kunde zu guter Letzt das Recht behält zu sagen: „Nö, so hab‘ ich mir das nicht vorgestellt!“
Das „Maßschneidern“ von Uhren ist nicht vergleichbar mit dem von Kleidung oder Schuhen für welche es letztlich anatomische Gründe gibt (zu dick, zu groß, was auch immer). Keiner braucht eine maßgeschneiderte Uhr, das Hauptargument dafür ist eine gewisse Begehrlichkeit welche wiederum unterschiedliche Motive haben kann. So sehe ich das mir im Grunde unerklärliche Phänomen einer gepimpten RLX lediglich in der Argumentation bzw. dem Stammtischmonolog: „Ha, ich hab‘ die dazu gekriegt mir einen roten Zeiger einzubauen. Alle anderen auf der Welt haben einen orangen!“
Ich denke mir dazu – sarkastisch wie ich bin - eine Szene analog „Kaisermühlen-Blues“ (Insider-Witz für die Ösis) auf der Viennatime wo der Verkäufer sagt: „Ich trage selbst nur Maßanzüge und solche Schuhe. Das hat halt seinen Preis und ist nicht vergleichbar!“ Antwort des gelernten Kaisermühleners: „Donn kaaf Dein Broder söber, Du………!“ (Die Punkte stehen stellvertretend für ein beliebiges Kraftwort wienerischen Ursprungs. Wer sich dafür interessiert dem seien entsprechende Bild-und-Ton-Konserven der genannten Serie - erhältlich im Fachhandel - nahegelegt)
Unsere Klientel konzentriert sich – innerhalb unseres Preisspektrums – auf gewisse geografische Gebiete dieser Erde. Märkte wo es vorkommen mag, dass einer daherkommt und sagt: „Mach‘ mir was, eagl was, koste was will!“ bearbeiten wir eigentlich nicht. Das mag durchaus eine interessante Klientel sein, erfahrungsgemäß sind solche Kunden die bei uns auf Customizing ansprechen eher etwas bodenständiger gestrickt. Und hier entsteht eines der Probleme dem man relativ oft gegenübersteht, nämlich der Ansage: „Mir gefällt Eure Uhr, vor allem der Preis, macht mir doch (z.B.) ein Zifferblatt und Zeiger ident der Portugieser drauf!“ Und siehe da, natürlich wird verglichen! Es geht nämlich oft darum ein (exklusives) Produkt zu schaffen welches aber (idealerweise) weniger kostet als da „Original“ (welches das auch immer sein mag). Das kann man ggf. auch durchaus machen mögen, wir mögen’s nicht. (dazu ließe sich ein eigener Thread aufmachen: Ethik in der Uhrenbranche)
Letztlich qualifiziert den vernünftigen Kunden - den wir ja gerne alle haben möchten - ja auch der Vergleich. Wie intelligent ist es für ein Produkt erheblich mehr zu zahlen als es woanders kostet? Dass dabei Äpfel mit Birnen verglichen werden ist menschlich und nicht wirklich wegzuargumentieren. Beispiel: Warum soll ich mir einen VW kaufen wenn ich einen vergleichbaren Opel (oder was auch immer) günstiger krieg‘? Die scheinbare Exklusivität einer aus einem Lego-Baukasten zusammengestellten Uhr wird daran wenig ändern, schließlich bleibt’s unterm Strich Lego. Und der Preis ist letztlich dann noch immer ein Argument für die Vielzahl von Konsumenten welche keine eigenen Ölquellen besitzen. Da frag' ich mich dann letztlich schon, ob's nicht exklusiver ist, dass sich ein Uhrmacher hingesetzt hat und meinen Zeiger mit der Spraydose aus dem Baumarkt lackiert hat?
Einen Konfigurator haben wir nie ernsthaft angedacht da dieser – in unserem Fall mit Optionen im Werk – schier nicht zu programmieren wäre. Dies bedingt durch etliche gegenseitige Ausschließungen: So behindert das Kalendarium eine Gangreserveanzeige jedoch nicht die klassische Datumsanzeige. Die kollidiert aber wieder mit dem Tourbillon und das mit dem Schleppzeiger-Modul etc. Was hier schon schwer in einem persönlichen Gespräch zu vermitteln ist sehe ich per PC als praktisch unmöglich oder zumindest schwer problembehaftet vor. Ein paar farbige Zählerscheiben auszutauschen scheint dagegen eine relativ einfache Aufgabe. Aber auch hier stellt sich die Frage wie exklusiv das Produkt denn letztlich ist. Was passiert wenn der nächste User - zufällig – das Gleiche konfiguriert wie ich? Kriegt der dann auch die Nummer 1 draufgraviert?
Das interessante an den unterschiedlichen Geschmäckern ist, dass diese sehr leicht durch „Mode“ beeinflussbar sind. Ist ein oranger Sekundenzeiger oder eine grüne Lünette in wollen diese – nicht alle – aber viele. Und damit sind wir bei der sog. Pareto-Regel (bitte googlen wem’s nicht geläufig ist). Diese beschreibt ein Verhältnis welches in der Praxis sehr oft anzutreffen ist: z.B. Ein Unternehmen macht 80% seines Umsatzes mit 20% seiner Kunden. Bezogen auf ein Produkt führt diese Regel dazu, dass eine bestimmte Version (Konfiguration) überdurchschnittlich oft geordert wird. Das ist letztlich gut für den Hersteller weil er so profitabler (und damit für den Kunden „günstiger“) arbeiten kann, heißt aber im Umkehrschluss, dass er viel Kapital in z.B. ZB-Versionen binden muss die nur wenige kaufen. Glück dem der dafür Investoren hat die nicht fragen!
Beste Grüße
Richard
P.S. Sind nur so ein paar Gedanken zu dem Thema. Ich hoffe es fühlt sich dadurch keiner auf den Schlips getreten. Wenn ja, war’s nicht bös‘ gemeint!
Grundsätzlich wird man mit "vernünftigen" Customizing-Wünschen bei jeden kleineren, Eigner-geführten, unabhängigen Unternehmen offene Türen eintreten.
Dass größere Marken damit in der Regel Probleme haben erklärt sich aus
1. den notwendigen Verwaltungsaufwand für z.B. einen Roten Zeiger auf einer einzelnen Uhr aus einer Serie von z.B. 1.000 Stück und mit
2. Markenpolitischen Erwägungen
Je größer das Unternehmen und damit die Produktionszahlen desto weniger interessant ist das Ganze als Geschäftsmodell.
Als wir 2004 mit unserem ersten Produkt angefangen haben, hatten wir um eine bestehendes Werk herum ein modulares System entwickelt welches es erlaubte (noch immer erlaubt) Uhren nach Kundenwunsch zu konfigurieren und dies bezieht alles bis hin zum Uhrwerk und dessen Funktionen ein. Wir hatten 2007 das System sogar weiterentwickelt indem wir eine damals neue Werkbasis "adoptierten" welche durch eigene wie auch fremde Zusatzmodule erweitert werden konnte. Die Bandbreite reichte (reicht) dabei von der einfachen Dreizeiger-Handaufzugsuhr, über Automatik, Datum, Kalendarium, Gangreserveanzeige, 2. Zeitzone bis zu Tourbillon, Repetition oder Chronos aller Art bis hin zum Schleppzeiger-Chrono. Wir sind jetzt – seit 2014 und der Vorstellung unseres eigenen Werks – dabei das s.g. modulare System wieder zurückzufahren. Dies u.a. aus folgenden Gründen:
Ein Großteil der Kunden tut sich schwer damit seine eigenen Ideen einzubringen weil sich viele schwer damit tun sich etwas vorzustellen. Stichwort: Ich stelle mir vor wie die Uhr statt dem orangen mit einem roten Sekundenzeiger aussieht. Das klingt jetzt banal, ist aber letztlich nicht einfach zu handeln weil ja der Kunde zu guter Letzt das Recht behält zu sagen: „Nö, so hab‘ ich mir das nicht vorgestellt!“
Das „Maßschneidern“ von Uhren ist nicht vergleichbar mit dem von Kleidung oder Schuhen für welche es letztlich anatomische Gründe gibt (zu dick, zu groß, was auch immer). Keiner braucht eine maßgeschneiderte Uhr, das Hauptargument dafür ist eine gewisse Begehrlichkeit welche wiederum unterschiedliche Motive haben kann. So sehe ich das mir im Grunde unerklärliche Phänomen einer gepimpten RLX lediglich in der Argumentation bzw. dem Stammtischmonolog: „Ha, ich hab‘ die dazu gekriegt mir einen roten Zeiger einzubauen. Alle anderen auf der Welt haben einen orangen!“
Ich denke mir dazu – sarkastisch wie ich bin - eine Szene analog „Kaisermühlen-Blues“ (Insider-Witz für die Ösis) auf der Viennatime wo der Verkäufer sagt: „Ich trage selbst nur Maßanzüge und solche Schuhe. Das hat halt seinen Preis und ist nicht vergleichbar!“ Antwort des gelernten Kaisermühleners: „Donn kaaf Dein Broder söber, Du………!“ (Die Punkte stehen stellvertretend für ein beliebiges Kraftwort wienerischen Ursprungs. Wer sich dafür interessiert dem seien entsprechende Bild-und-Ton-Konserven der genannten Serie - erhältlich im Fachhandel - nahegelegt)
Unsere Klientel konzentriert sich – innerhalb unseres Preisspektrums – auf gewisse geografische Gebiete dieser Erde. Märkte wo es vorkommen mag, dass einer daherkommt und sagt: „Mach‘ mir was, eagl was, koste was will!“ bearbeiten wir eigentlich nicht. Das mag durchaus eine interessante Klientel sein, erfahrungsgemäß sind solche Kunden die bei uns auf Customizing ansprechen eher etwas bodenständiger gestrickt. Und hier entsteht eines der Probleme dem man relativ oft gegenübersteht, nämlich der Ansage: „Mir gefällt Eure Uhr, vor allem der Preis, macht mir doch (z.B.) ein Zifferblatt und Zeiger ident der Portugieser drauf!“ Und siehe da, natürlich wird verglichen! Es geht nämlich oft darum ein (exklusives) Produkt zu schaffen welches aber (idealerweise) weniger kostet als da „Original“ (welches das auch immer sein mag). Das kann man ggf. auch durchaus machen mögen, wir mögen’s nicht. (dazu ließe sich ein eigener Thread aufmachen: Ethik in der Uhrenbranche)
Letztlich qualifiziert den vernünftigen Kunden - den wir ja gerne alle haben möchten - ja auch der Vergleich. Wie intelligent ist es für ein Produkt erheblich mehr zu zahlen als es woanders kostet? Dass dabei Äpfel mit Birnen verglichen werden ist menschlich und nicht wirklich wegzuargumentieren. Beispiel: Warum soll ich mir einen VW kaufen wenn ich einen vergleichbaren Opel (oder was auch immer) günstiger krieg‘? Die scheinbare Exklusivität einer aus einem Lego-Baukasten zusammengestellten Uhr wird daran wenig ändern, schließlich bleibt’s unterm Strich Lego. Und der Preis ist letztlich dann noch immer ein Argument für die Vielzahl von Konsumenten welche keine eigenen Ölquellen besitzen. Da frag' ich mich dann letztlich schon, ob's nicht exklusiver ist, dass sich ein Uhrmacher hingesetzt hat und meinen Zeiger mit der Spraydose aus dem Baumarkt lackiert hat?
Einen Konfigurator haben wir nie ernsthaft angedacht da dieser – in unserem Fall mit Optionen im Werk – schier nicht zu programmieren wäre. Dies bedingt durch etliche gegenseitige Ausschließungen: So behindert das Kalendarium eine Gangreserveanzeige jedoch nicht die klassische Datumsanzeige. Die kollidiert aber wieder mit dem Tourbillon und das mit dem Schleppzeiger-Modul etc. Was hier schon schwer in einem persönlichen Gespräch zu vermitteln ist sehe ich per PC als praktisch unmöglich oder zumindest schwer problembehaftet vor. Ein paar farbige Zählerscheiben auszutauschen scheint dagegen eine relativ einfache Aufgabe. Aber auch hier stellt sich die Frage wie exklusiv das Produkt denn letztlich ist. Was passiert wenn der nächste User - zufällig – das Gleiche konfiguriert wie ich? Kriegt der dann auch die Nummer 1 draufgraviert?
Das interessante an den unterschiedlichen Geschmäckern ist, dass diese sehr leicht durch „Mode“ beeinflussbar sind. Ist ein oranger Sekundenzeiger oder eine grüne Lünette in wollen diese – nicht alle – aber viele. Und damit sind wir bei der sog. Pareto-Regel (bitte googlen wem’s nicht geläufig ist). Diese beschreibt ein Verhältnis welches in der Praxis sehr oft anzutreffen ist: z.B. Ein Unternehmen macht 80% seines Umsatzes mit 20% seiner Kunden. Bezogen auf ein Produkt führt diese Regel dazu, dass eine bestimmte Version (Konfiguration) überdurchschnittlich oft geordert wird. Das ist letztlich gut für den Hersteller weil er so profitabler (und damit für den Kunden „günstiger“) arbeiten kann, heißt aber im Umkehrschluss, dass er viel Kapital in z.B. ZB-Versionen binden muss die nur wenige kaufen. Glück dem der dafür Investoren hat die nicht fragen!
Beste Grüße
Richard
P.S. Sind nur so ein paar Gedanken zu dem Thema. Ich hoffe es fühlt sich dadurch keiner auf den Schlips getreten. Wenn ja, war’s nicht bös‘ gemeint!