Warum keine "Neuauflagen" legendärer Uhrenkaliber?

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Crusader
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Warum keine "Neuauflagen" legendärer Uhrenkaliber?

Beitrag von Crusader »

In einem anderen Thread stand:
Interessant finde ich die Meinung des Autors, dass die "ideenreiche Überarbeitung der Grundkonstruktion unter Einbindung der heutigen Fertigungsmethoden und -toleranzen" des Kalibers C. 8541 B ein "Volltreffer" gewesen wäre, "der der Schaffhauser Manufaktur wieder einen Spitzenplatz in der Schweizer Uhrenwelt verschafft hätte (J. Michael Mehltretter "Neue Automatik - automatisch gut?", Armbanduhren 02/06, S. 129).
Quelle: http://forum.watchtime.ch/viewtopic.php?t=1348&start=45

Dirks Zusammenfassung hat mich an eine Frage erinnert, die ich mir schon lange gestellt habe - sie sie bezieht sich aber ausdrücklich nicht auf das konkrete IWC-Beispiel, sondern auf die Problematik im allgemeinen:

Dass man Maschinen zur Produktion alter "legendärer" Kaliber nicht ewig weiterlaufen lassen kann, ist mir schon klar ... aber wenn man ohnehin ein neues Werk konstruiert und die dafür erforderlichen Fertigungskapazitäten (seien es nun Maschinen oder CNC-Programme) anschafft, warum kann man nicht alte - im oben beschriebenen - Sinne "nachbauen" und mit der heutigen Technik optimieren? Das wäre doch ein gutes Verkaufsargument für so manche Uhrenmarke, dass sie ihre eigenen legendären Kaliber wieder auflegen ... ?

Gibt es da grundsätzliche technische Aspekte, die einem solchen Vorgehen entgegenstehen, oder geht es eher darum, dass man lieber etwas "neues schaffen" möchte?
mannberlin
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Beitrag von mannberlin »

danke - sehr gute frage, fragte ich mich auch schon.
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john_doe
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Beitrag von john_doe »

Naja bisher konnte man die Preiserhöhungen ja immer mit den enormen Entwicklungskosten argumentieren. Das fiele ja dann zu grossen Teilen weg (zumindest für die Argumentationskette).
Michael
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Thomas H. Ernst
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Beitrag von Thomas H. Ernst »

Grundsätzlich ist es so, dass die wenigsten Betriebe überhaupt noch über Werkzeuge und Pläne zur Herstellung alter Werke verfügen. Rühmliche Ausnahmen sind Lemania, Zenith und ein paar ganz Noble wie AP, PP usw. Diese bauen ja auch fleissig die Oldies weiter wobei hier meist zahlreiche Veränderungen vorgenommen werden.

Man kann also feststellen, dass wer in nennenswerten Stückzahlen Alteisen neu fabriziert, entweder noch über massig Bestände verfügt, oder aber den Kunden kräftig zur Kasse bittet.

Im bezahlbaren Segment spielt sich leider nichts ab. Auf die Frage, warum denn nicht mal so ein altes IWC 8541 oder Eternamatic oder Wasauchimmer wieder aus modernen Maschinen fallen könnte, bekomme ich meist die folgende Antwort:

Die alten Werke würden auch mit den heutigen Fertigungsmethoden nicht so gut wie ein neu entwickeltes Kaliber laufen. man könnte bei bestimmten Komponenten wie Steinen, Federn, Trieben usw. nicht auf die Kataloge der Zulieferer zurückgreifen sondern müsste Spezialanfertigungen bestellen. Diese Kosten rechnen sich im unteren Segment nicht.

Ich persönlich bin da nicht so zu 80% überzeugt, die restlichen 20% sollten einen Versuch wert sein.
Grüsse Thomas
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Simon
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Beitrag von Simon »

Genau diese Frage wollte ich auch schon seit geraumer Zeit stellen.
Viele Grüße,

Simon
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indiana
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Beitrag von indiana »

So richtig überzeugt mich die Argumentation auch nicht, zumal
z.B. das 8541 auch aus heutiger Sicht keinen Vergleich zu neuen
Kalibern scheuen müsste! Warum sollte dann ein neues 8541
diesen Anspruch nicht genügen?
Man stelle sich mal vor Heuer würde in den Reedition ein neu
aufgelegtes Kaliber 12 einbauen, so das man auch noch die alten Kaliber mit Ersatzteilen versorgen könnte! :shock:
Wird nicht passieren, da den meisten Käufern doch egal ist was da in einer Uhr Tick Tack macht! :wink:
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Crusader
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Beitrag von Crusader »

indiana hat geschrieben:da den meisten Käufern doch egal ist was da in einer Uhr Tick Tack macht! :wink:
Da bin ich mir nicht so sicher ... wenn man sich vor Augen führt, wieviel Brimborium die Uhrenhersteller um ihre "eigenen" Werken machen (haben ja alle eigene Bezeichnungen und sind z.T. ja wirklich deutlich gegenüber der ETA-Version verändert) und die wahre Herkunft der Werke verschleiern, scheinen zumindest sie darauf zu setzen, dass man dem Kunden für "eigene" Kaliber mehr Geld abknöpfen kann. Insofern finde ich die Ausgangsfrage schon berechtigt.

Was dann verkauft wird, ist freilich nur der Glaube an bzw. die Argumentationsgrundlage für ein eigenes Kaliber - aber manchem Kunden mag das reichen (wobei ich nicht bestreiten will, das es Käufer gibt, denen es egal ist). Die Welt will halt betrogen sein. :wink:

Besser als Frank könnte ich es nicht sagen:
Sperrklinke hat geschrieben:
Thomas H. Ernst hat geschrieben: Also war die Entscheidung, dem bewährten ETA-Bauplan den Aufzugs-, Chronographen- und den Datums-Mechanismus zu entfernen und dafür eigene Konstruktionen zu implementieren, mehr als nahe. IWC hätte vielleicht gut getan, dies auch so zu kommunizieren. Dann wäre das was nicht hätte passieren sollen auch nicht passiert: Irgend einer verglich mal zufällig die hauseigenen 3Ds der beiden Werke und fand Gemeinsamkeiten heraus. Schade nur, dass derjenige nicht genau genug hingeguckt hat um die Unterschiede zu erkennen. Dumm für IWC, das Negatives in den Köpfen besser hängen bleibt, auch wenn hinterher die Tatsachen ins rechte Licht gerückt werden.
Genau hier liegt der entscheidende Punkt und der zieht sich wie ein roter Faden durch IWC im Allgemeinen. Mit der ganzen Heimlichtuerei betreffend der Basiskaliber bringt sich IWC immer und immer wieder selbst in Zugszwang.

Vor was hat man in Schaffhausen eigentlich Angst? Die Basiskaliber der ETA sind sehr gute Vorlangen und wenn man diese verfeinert und tunt ist da überhaupt nichts Negatives dran. Ich denke hier sind sich die meisten einig. Ein gutes ETA ist besser als ein schlechtes Manufakturkaliber. Aber weshalb kann man das nicht so kommunizieren? Weshalb kann IWC zum Beispiel nicht ganz klar sagen: Kaliber xxxx Basis ETA yyyy. Fertig. - Könnte Transparenz am Image der Manufaktur kratzen? Glaube kaum, denn unter den Manufakturpuristen ist IWC eh keine, da braucht man sich gar keine Illusionen zu machen.
Ich kenne potenzielle Uhrenliebhaber, denen das Geld durch ihren beruflichen Erfolg keine grosse Rolle spielt und die in dieser Preisklasse eh gleich zu JLC, GP oder gar Patek greifen.
Für den technisch interessierten Uhrenliebhaber könnte es aber durchaus interessant sein, wie IWC von einem Basiskaliber zu einem selbsternannten IWC-Kaliber kommt. Hier könnte man durch klare Kommunikation sicher manchen technisch begeisterten Kunden für sich gewinnen.

Die aktuelle Strategie jedoch hinterlässt gerade bei dieser Zielgruppe einen schlechten Nachgeschmack. Man outet sich als etwas und hinterher kommt dann doch die Ernüchterung und das schafft einfach kein Vertrauen. Da kann man nachher noch lange begründen, erklären, aufklären und freundlich erläutern, etwas Negatives bleibt immer hängen und frisst sich ins Unterbewusstsein. Zuallerletzt öffnet man damit noch die Tore der Spötter und Schadenfrohen, die dann keine Gelegenheit auslassen für Heiterkeit zu sorgen.

Ich denke hier liegt ein wesentlicher Punkt, weshalb IWC oder hier im Speziellen die Ingenieur so sehr umstritten ist und polarisiert.

Genau genommen steht sich IWC selbst im Weg und das ist schade. Diese Marke hätte eigentlich etwas anderes verdient.

Gruss Frank
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Thomas H. Ernst
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Beitrag von Thomas H. Ernst »

indiana hat geschrieben:Warum sollte dann ein neues 8541
diesen Anspruch nicht genügen?
Es wäre heute sicherlich nicht schlecht, könnte aber gegen das 8000er nicht konkurrieren. Ich hatte mal eine revidierte NOS Yachtclub auf der Zeitwaage, das käme nie und nimmer an ein gutes modernes Werk heran. Mangelnde Präzision bei der Fertigung kann man den Oldies auch nicht vorwerfen, die waren in dieser Hinsicht nicht schlechter gemacht als heutige Uhren. Es ist nur einfacher, heute.
Grüsse Thomas
Euer Board-Admin
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Heinz
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Beitrag von Heinz »

Hallo,
bei den Topuhren gab es durchaus Kaliber, die auch heute noch technisch mithalten könnten (z.B. bei Patek) und wahre Leckerbissen wären - noch dazu weil sie ja früher mit wenigen Ausnahmen hinter Metallbodendeckeln versteckt waren. Bei PP gab es z.B. das hervorragende ,technisch anspruchsvolle und sehr schöne Werk 27 460 M und meines Wissens nur eine einzige, heute hoch gehandelte Referenz mit Glasboden. Warum man das Werk heute nicht mehr baut? Nun ich denke, dass es in einer Zeit entstanden ist (in den Siebzigern, glaube ich), da PP ca. 5000 Uhren pro Jahr baute und es aufwendiger zu fertigen ist , während PP heutzutage vielleicht 20000 bis 30000 (Annahme) Einheiten pro Jahr produziert und ein Werk benötigt, dass mit der nötigen Präzision und den Ansprüchen dieser Firma auch in diesem Ausmaß darstellbar ist. Weiters istes etwas höher als die heutigen PP Werke und ausserdem nimmt PP vielleicht Rücksicht auf die Sammler. Es könnte aber auch sein, dass aufgrund der bei diesem Modell nicht so einfachen Fertigung die Preise so hoch würden, dass zu wenig Stücke abgesetzt werden könnten. Oder aber , dass bei annähernd gleicher Preisgestaltung mit vergleichbaren laufenden Modellen diese über Gebühr konkurrenziert würden. Ähnliches mag im Grundsatz auch für andere Marken und Modelle gelten.

Grüße
Heinz
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Olli67
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Beitrag von Olli67 »

Hallo,

ein Uhrenhersteller würde mit der Neuauflage eines alten Kalibers implizit eingestehen, einen Fehler mit dessen Einstellung gemacht zu haben. Und was sollen die Kunden denken, die ein aktuelles Modell besitzen? Das sie Schrott gekauft haben?

Aus meiner Sicht zwei KO-Kriterien.

Gruß,
Olli
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Kalli
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Beitrag von Kalli »

Als Hanhart damals die Wiederauflage ihrer Fliegeruhr "Replika 1939" herausgebracht hat, ging zuvor auch der Gedanke durch das Team, das alte Uhrwerk wieder aufleben zu lassen. Trotzdem, daß alle Pläne noch vorhanden waren und zusätzlich viele (alle?) Maschinen, wäre eine Investition von ca. 1 Mio DM nötig gewesen.
So eine Investition würde so mancher Firma die Kehle zuschnüren und daher wurde auf das Val. 7760 zurückgegriffen.
Aber in diesem Bericht aus dem ich diese Info habe stand auch, daß diese Option damals nicht gänzlich ausgeschlossen wurde.
Si vis pacem parabellum
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Beitrag von Crusader »

Kalli hat geschrieben:Als Hanhart damals die Wiederauflage ihrer Fliegeruhr "Replika 1939" herausgebracht hat, ging zuvor auch der Gedanke durch das Team, das alte Uhrwerk wieder aufleben zu lassen. Trotzdem, daß alle Pläne noch vorhanden waren und zusätzlich viele (alle?) Maschinen, wäre eine Investition von ca. 1 Mio DM nötig gewesen.
So eine Investition würde so mancher Firma die Kehle zuschnüren und daher wurde auf das Val. 7760 zurückgegriffen.
Aber in diesem Bericht aus dem ich diese Info habe stand auch, daß diese Option damals nicht gänzlich ausgeschlossen wurde.
Ein interessantes Beispiel, Kalli.

Aber ich bezog mich auf solche Fälle, wo - mit mehr oder minder großem Erfolg - "neue" eigene Werke entwickelt werden; dass der Zukauf eines ETAs preisgünstiger ist als eine Neuentwicklung, dürfte kein Wunder sein - die Frage geht aber dahin, warum eine komplette Neuentwicklung gegenüber einem re-engineering des alten Kalibers präferiert wird. :)
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Kalli
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Beitrag von Kalli »

Wenn die Wiederauflage dieses Chronowerkes damals schon ca 1 Mio hätte kosten sollen, dann gehe ich davon aus, daß sich niemand an eine komplette Neukonstruktion heranwagt der nicht fest im Werkhersteller-Sattel drinsitzt.

Das dürfte wohl ruckzuck finanzieller Selbstmord für eine (neueinsteiger-) Firma sein, wenn so ein Werk dann nicht weggeht wie warme Semmel.
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Albert H. Potter
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Beitrag von Albert H. Potter »

Ihr postet den Wusch nach der Neuauflage alter Werke in der falschen Sprache. Wenn ihr erhört werden wollt, müßt ihr es auf chinesisch formulieren.
Nachbauten sind machbar !

Gruß,
Peter
DirkZ
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Beitrag von DirkZ »

In Armbanduhren (02/06) wird auf S. 81 eine angeblich gute Nachricht für Uhrenfreunde verkündet, die in den Kontext dieses Threads passen könnte.

Bei Junghans sollen wieder Uhren in der Tradition der alten Meister entstehen.
In dem kurzen Text steht, dass eine Modellreihe "1861" mit Werken vorgestellt wird, die in der Tradition des legendären Kalibers J88 (Automatikwerk), Kaliber J890 (Schaltrad-Chronographenwerk) und Kaliber J830 (mit Zentralsekunde) stehen.
Es sind reservierte Werke, die exklusiv von Seiko (!) produziert werden.

Leider kann ich nicht beurteilen, ob es sich bei dem abgebildeten Schaltrad-Chronographenwerk um einen Nachbau des Kalibers J890 handelt oder um etwas neu entwickeltes.

Interessant finde ich auch die Formulierung: "reservierte mechanische Werke (exklusiv produziert von Seiko)".
Was heißt das nun?
Sind die Werke von Seiko entwickelt und dann für Junghans "reserviert" worden, wobei die Herstellung auch Seiko obliegt?

Oder baut Seiko anhand der Original-Pläne die legendären Junghans J-Kaliber nach?

Macht Seiko solche "Auftragsarbeiten" für ganze Uhrwerke (auch Chrono-Werke) öfter?

Wenn ja, dann haben sie gerade wieder ein Chronographenwerk entwickelt und zur Serienreife gebracht (nach dem im Flightmaster verwendeten eigenen Seiko-Chrono-Werk).
Wie lange brauchen andere Uhren-Marken, um einen einzigen eigenen Chronographen aufgrund der komplexen Technik zu realisieren (z.B. Rolex, Patek Philippe, IWC)? Das würde für die technische Kompetenz von Seiko sprechen.

Fragen über Fragen... und die Hoffnung auf eine Antwort.

Gruß
Dirk
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