Quarzuhren mit Elektroautos vergleichen
Darauf brauchen wir nicht zu warten. Man kann schon heute in der westlichen Welt kein Auto mehr neu auf den Markt bringen, das ganz ohne Elektronik auskommt. Der Grund ist schnell gefunden. Ohne elektronische Sensoren und Steuergeräte kann man die gesetzlich vorgeschriebenen Grenzwerte für die Abgasemissionen einfach nicht mehr erreichen. Wenn alle neuen Armbanduhren, die mehr als 2 Sekunden Gangabweichung pro Monat aufweisen, an der CE Konformität scheitern würden und keine Zulassung durch die amerikanischen Verbraucherschutzbehörden erhalten würden, gäbe es bald keine mechanischen Armbanduhren mehr.
Reiz der Mechanik
Der Erfolg hat ja bekanntlich viele Väter. Gibt es eigentlich irgendwo eine objektive Geschichtsschreibung über die Renaissance der mechanischen Armbanduhr? Mich würde wirklich mal interessieren, wie es nach der Quarzkrise zu diesem Hype kommen konnte, der uns alle hier erfasst hat und der der Uhrenindustrie über Jahre hinweg Umsatzsteigerungen im Bereich von 10 Prozent pro Jahr beschert hat. In den siebziger Jahren hat man uns mit irrsinnig teueren Stereoanlagen das Geld aus der Tasche gezogen. Dieses Geschäftsmodell ist fast vollständig zum erliegen gekommen, nachdem in der Unterhaltungselektronikbranche die ‚Geiz ist geil’ Ära eingeläutet worden war. Aber das kann doch nicht der einzige Grund sein, warum wir seitdem in immer größerer Zahl bereit sind, den Gegenwert von mehreren Monatsgehältern (ich rede vom Netto nach Abzug der laufenden Kosten für den Unterhalt der Familie) in ein kleines Metallgehäuse mit ein paar Zahnrädchen drin zu ‚investieren’. Dies ist umso unbegreiflicher, da es sich in den meisten Fällen um ein mit höchster Effizienz industriell hergestelltes Massenprodukt handelt, dessen Verkaufspreis zu einem sehr großen Teil durch die Umlage aus dem Werbetat des Herstellers oder sogar nur des ‚Vertreibers’ bestimmt ist.
Werterhalt von mechanischen Uhren über Generationen hinweg
Der Ideelle Wert eines Gegenstandes ist nicht zu beziffern, daher nur ein paar Gedanken zum materiellen Werterhalt. Ich habe recht gut erhaltene Uhren von meinem Vater, meinem Großvater, meine Urgroßvater und meinem Ur-Urgroßvater. Mir sind die Uhren etwas Wert weil ich ihre Geschichte kenne und Uhrenfreund bin. Die Uhren haben aber keinen materiellen Wert mehr, weil aus der Mode. Oder würde sich heute noch jemand für eine Taschenuhr mit Schlüsselaufzug begeistern, wenn es sich nicht gerade um eine ‚Breguet mit Repetitionsschlagwerk’ handelt, die sich damals nur die Fürsten leisten konnten. Wer würde einen nennenswerten Betrag zahlen für eine zuverlässig funktionierende silberne Taschenuhr, wenn nicht ‚International Watch Company’ auf dem Zifferblatt zu lesen ist. Wer würde heute noch eine Armbanduhr mit 35 mm Gold Double Gehäuse tragen, wenn es sich nicht um einen ‚frühen Chronographen mit Vollkalender und Mondphase von Patek Philippe’ handelt. Selbst die ‚extragroße 38 mm Dreizeigeruhr’ aus den späten Sechszigern sieht mit der kleinen Krone und dem gewölbten Hesalitglas heute ganz schön angestaubt aus. Diese Statements sind natürlich absichtlich etwas übertrieben, aber im Grunde genommen wird jeder zugeben müssen: nur was in der Vergangenheit fast unerschwinglich war, hat auch heute noch einen nennenswerten materiellen Wert. Hier passt auch der Vergleich mit Autos wieder. Die Supersportwagen und die Staatskarossen (ich meine damit die, mit denen man auch heute noch Staat machen kann) behalten ihren Wert während die ‚Brot und Butter Fahrzeuge’ als Youngtimer wie als Oldtimer für vergleichsweise kleines Geld unter Idealisten gehandelt werden.
Schlussfolgerung am Aschermittwoch
Ich nehme mir jetzt noch mal die Chronos Jubiläumsausgabe zur Hand und schaue mal, in welches horologische Massenprodukt ich als nächstes ‚investiere’
Einen schönen Abend wünscht
Heinrich