Aktuelle Bedeutung der Breguet-Spirale

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playman205
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Aktuelle Bedeutung der Breguet-Spirale

Beitrag von playman205 »

Letzte Woche las ich mal wieder eine vermutlich rund zehn Jahre alte, kontroverse Purists-Diskussion über die uhrmacherische Philosophie von Lange, an der vergangene und aktuelle Szenegrößen wie Peter Chong, Walt Odets und Michael Friedman teilnahmen, und deren Thema war unter anderem auch die Tatsache, dass Lange wie auch Patek die Breguet-Spirale weitgehend aus ihren Werken verbannt haben. Das überrascht etwas, weil bis in die 1960er Jahre hinein die Breguet-Spirale mit ihrer aufgebogenen Endkurve zur Erzeugung einer möglichst zentrisch ausgeglichenen Schwingung mit dem Argument geringerer Gangabweichungen in den Lagen ein Qualitätsmerkmal hochwertiger Uhrwerke war und gerade bei Handaufzugswerken auch bis in die Mittelklasse hinein (z.B. Omega 30mm-Kaliber, 321, überhaupt auch die üblichen Handaufzugschrono-Werke mit Schaltrad) verwendet wurde.

Die einsetzende Marktdominanz von Automatikkalibern, die dazu auch noch relativ flach ausfallen sollten, hat die Breguet-Spirale dann spätestens ab Mitte der 1960er Jahren zurückgedrängt, immerhin schätzt man für den zusätzlichen Platzbedarf rund 1mm Bauhöhe. Zweifellos waren auch die geringeren Kosten einer Konfiguration mit Flachspirale nicht unschuldig an dieser Entwicklung. Nur Rolex hat bis auf den heutigen Tag unbeirrt an der Breguet-Spirale festgehalten und damit auch 6mm Bauhöhe beim 3135 in Kauf genommen. Nun gibt es durchaus Meinungen, die allein diesem Umstand die immer wieder kolportierten, typischerweise geringen Gangabweichungen in den Lagen beim Rolex 3135 zuschreiben.

Deswegen möchte ich das gerne mal locker zur Diskussion stellen (nicht zuletzt auch, um den hochqualifizierten Physik/Technik-Erklärbären des Forums die Gelegenheit zu geben, sich aus der Troll-Hölle des Bohrhammer-Threads zu befreien :wink:).

Welche aktuellen Werke außer Rolex haben denn noch eine Breguet-Spirale? Mir würden spontan das Chopard 1.96-Mikrorotorkaliber, der Lange Datograph und die Lemania-basierten Handaufzugschronographenwerke in PP 5070 und dem VC-Gegenstück einfallen.

Warum sind das so wenige? Nach meinem Verständnis aus früheren Diskussionen braucht eine Breguet-Spirale, um ihren Vorteil auszuspielen, eine relativ große Unruh mit entsprechend hohem Trägheitsmoment. Das ist heutzutage in den meisten Konstruktionen (Rolex wiederum ausgenommen) nicht mehr gegeben, obwohl eine große Unruh nach landläufiger Sichtweise die Ganggenauigkeit in der Praxis positiv beeinflusst. Darüber hinaus gibt es heute aber gerade bei den neueren Manufakturkalibern eine Tendenz zu den geringeren Unruhfrequenzen der Vergangenheit von 18.000 bis 21.600 A/h. Die Gründe dafür sind dabei sicherlich bei der höheren Gangreserve und der potenziell geringeren Verschleißfreudigkeit des Werkes zu sehen. Das würde ja die Ausrichtung zu großen, schweren Unruhen mit Breguet-Spirale analog zur Philosophie der alten Werke prinzipiell unterstützen. Warum wird es trotzdem nicht gemacht? Haben die fertigungstechnischen und metallurgischen Fortschritte (oder auch die freischwingenden Regulierungskonzepte à la Gyromax) die Breguet-Spirale mit großer Unruh endgültig obsolet gemacht, weil man damit nicht mehr viel optimieren kann, oder ist das nur eine weitere Facette der Kosteneinsparung bei für Nicht-Freaks wenig transparenten Features?

Holger
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Don Tomaso
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Re: Aktuelle Bedeutung der Breguet-Spirale

Beitrag von Don Tomaso »

playman205 hat geschrieben:...nicht zuletzt auch, um den hochqualifizierten Physik/Technik-Erklärbären des Forums die Gelegenheit zu geben, sich aus der Troll-Hölle des Bohrhammer-Threads zu befreien :wink:...

Holger
:lol: :lol: :lol:
Danke dafür.
Gruss

Thomas

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r.as.
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Re: Aktuelle Bedeutung der Breguet-Spirale

Beitrag von r.as. »

Ich wage die Hypothese, dass die Flachspiralen durch die neuen Befestigungsysteme (glueing etc.) Boden gut gemacht haben.
Bei den bisherigen Befestigungen wurde doch die Spirale z.B.an ihrem inneren Ende um 90Grad abgewinkelt und dann gesteckt mit der Folge, dass es im Bereich der Abwinklung zu einer Materialverhärtung kam und damit die Spirale nicht mehr zentrisch schwingen konnte.

Nur eine Hypothese...

Grüße,
Rolf
unruh(ig)
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Re: Aktuelle Bedeutung der Breguet-Spirale

Beitrag von unruh(ig) »

playman205 hat geschrieben: Darüber hinaus gibt es heute aber gerade bei den neueren Manufakturkalibern eine Tendenz zu den geringeren Unruhfrequenzen der Vergangenheit von 18.000 bis 21.600 A/h. Die Gründe dafür sind dabei sicherlich bei der höheren Gangreserve und der potenziell geringeren Verschleißfreudigkeit des Werkes zu sehen.
Vielleicht auch ein Grund: Das langsame Ticken klingt angenehmer; so empfinde ich das.
Roland Ranfft
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Re: Aktuelle Bedeutung der Breguet-Spirale

Beitrag von Roland Ranfft »

Moin Holger,
playman205 hat geschrieben:Warum sind das so wenige?
Ganz einfach: Eine teure Uhr muß nicht gut sein, sie muß nur teuer sein und teuer aussehen. Und damit sie auch aus der Ferne erkennbar ist, ist ein Design erforderlich, das möglichst weit neben der Spur liegt.
Klartext: So ein Ding darf grottenschlecht sein (muß es aber nicht) und dazu potthäßlich (muß es).
playman205 hat geschrieben:kontroverse Purists-Diskussion über die uhrmacherische Philosophie von Lange
Du lieferst ja gleich am Anfang das Stichwort. Die Philosophie ist einfach: Gewinnoptimierung, und da spielt die Ausschöpfung des verfügbaren Raumes für eine große Unruh und eine Breguet-Spirale keine Rolle. Das macht ein Uhrwerk besser, bringt aber nichts ein.

A. Lange würde im Grab rotieren, wenn er ein Machwerk wie die die Lange 1 sehen müßte. Man weiß ja nicht einmal, was das Auge mehr zum Tränen bringt, die wüste Verteilung der Zeiger und Fenster auf dem Zifferblatt oder das Werk, das jeden Grundsatz für ein gutes Uhrwerk verhöhnt. Aus einem Trecker mit Kettensägenmotor wird auch dann kein Formel-I-Wagen, wenn man einen Spoiler mit Genfer Streifen dranschraubt.

Edel-Uhren werden nicht für Uhren-Liebhaber gebaut, sondern für Leute, die sich nicht darum scheren müssen, was sie fürs Geld bekommen. Und da es keine Korrelation zwischen Liebe zur Uhr und Durchmesser des Geldbeutels gibt, sind viele dieser Uhren einfach aufwendig dekorierter Müll, und man staunt, daß es überhaupt noch Firmen gibt, die sich um technische Qualität und gutes Design kümmern. Vielleicht bringen deren Mitabeiter es einfach nicht übers Herz, etwas richtig schlechtes in den Markt zu drücken.

Gruß, Roland Ranfft
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internett
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Re: Aktuelle Bedeutung der Breguet-Spirale

Beitrag von internett »

Guten Morgen, Roland!

Als ich deinen Beitrag las kam ich ins Grübeln - und ich glaube, nachdem ich ihn nochmal gelesen habe, daß du einfach recht hast. Danke :D
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jeannie
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Re: Aktuelle Bedeutung der Breguet-Spirale

Beitrag von jeannie »

Aus dem gleichen Grund wie ein Tourbillion eingebaut wird (man kann ihn sehen; dafür werden extra Zifferblätter zerstört) wird keine Breguet-Spirale eingebaut: man sieht sie nicht. Also wäre es nur ein Kostenfaktor.

Mit heutigen Herstellungsverfahren lassen sich mit konventionellen Uhrwerken Gangwerte erzielen, von denen man früher nur träumte. Wieso sich dann das Leben (ergo Kalkulation) schwerer machen?
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+???+
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Re: Aktuelle Bedeutung der Breguet-Spirale

Beitrag von +???+ »

Moin Roland,

ich kann Dir nur zustimmen. Ich habe mich immer gefragt, ob man mit genügend Schotter auch schrecklichen Geschmack erwirbt, oder warum viele der hochpreisigen Uhren so fürchterlich aussehen.

Danke für die klare und direkte Antwort.

Jeannie hat es schön ergänzt:
jeannie hat geschrieben:Aus dem gleichen Grund wie ein Tourbillion eingebaut wird (man kann ihn sehen; dafür werden extra Zifferblätter zerstört) wird keine Breguet-Spirale eingebaut: man sieht sie nicht. Also wäre es nur ein Kostenfaktor.
Nur was der Kunde vorne sieht, löhnt er auch fürstlich. Damit haben wir auch die Erklärung, warum bei der Lange 1 vorne noch "Doppelfederhaus" draufsteht: Der Kunde sieht es nicht, soll aber dafür bezahlen. Also druckt man's auf Zifferblatt. Mit "Breguet-Spirale" lockt man keinen mehr.

Gruß
Steffen
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playman205
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Re: Aktuelle Bedeutung der Breguet-Spirale

Beitrag von playman205 »

unruh(ig) hat geschrieben:
playman205 hat geschrieben:Darüber hinaus gibt es heute aber gerade bei den neueren Manufakturkalibern eine Tendenz zu den geringeren Unruhfrequenzen der Vergangenheit von 18.000 bis 21.600 A/h. Die Gründe dafür sind dabei sicherlich bei der höheren Gangreserve und der potenziell geringeren Verschleißfreudigkeit des Werkes zu sehen.
Vielleicht auch ein Grund: Das langsame Ticken klingt angenehmer; so empfinde ich das.
Ich eigentlich auch, gerade der 18.000er Rhythmus hat was Hypnotisches. Das "Maschinengewehrfeuer" eines 36.000er Schnellschwingers ist auch reizvoll, aber man assoziiert das intuitiv nicht mit dem typischen Geräusch einer mechanischen Uhr.

Holger
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Hauke Heffels
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Re: Aktuelle Bedeutung der Breguet-Spirale

Beitrag von Hauke Heffels »

Hallo Holger,

Nun schon zu Zeiten Alfred Helwigs und Gustav Gerstenbergers, der eine der dt. Tourbillon Papst der andere bedeutender Chronometermacher in Glashütte herrschte zwischen den beiden Freunden die Interne Ansicht vor " eine gute Spirale und Endkurve in Kombination mit einer guten Kompensationsunruhe ersetzt ein Tourbillon und ist sogar bei guter Reglage überlegen" Vergleicht man die Wettbewerbsergebnisse dann kann man diesen These nur bestätigen. Tourbillons belegten nur selten die ersten Plätze.

Beide waren aber auch sich darüber im Klaren das Tourbillons für die Darstellung der Leistungskraft der Glashüter Uhrenindustrie & der Schule viel werbewirksamer waren als Anker Chronometer mit Spitzen Reglage Ergebnissen. Hellwig hat sich in einem Artikel einmal beklagt das Besucher der Schule nur die Tourbillons und komplizieren Uhren sehen wollten, das einfache Werke oder die Gangmodelle "kenne man und man brauche das nicht zu studieren" .

Trotzdem hat Helwig diese Bedürfnisse befriedigt und hat immer neue Tourbillon Konzepte entwickelt.

Gerstenberger hat am Ende seiner Tätigkeit gesagt " Würde ich es nochmal anfangend ann würde ich grosse leichte Unruhen bauen..."

Was will ich damit sagen ?

Die Reglage hängt, nach dem man die besten Materialien und Konzpete ausgewählt hat, maßgeblich von dem Regleur ab. Heutige Systeme sind am Ende dessen angelangt was noch zu verbessern geht. Heutige Hersteller kämpfen um den Erhalt der Präzision, die rein rechnerisch möglich wäre ,die jedoch in der Fertigung nicht erzielt werden kann. Warum ist das so ? Nun es fehlt auch hier am Personal. Die Mengen die benötigt werden gerade von den "oberen" Luxusanbietern kann nicht von NIVAROX geliefert werden. Die Independet Industrie die dieses Marktsegment bedient hat ein immenses Waschtumspotezial.

Nun herrscht seit Jahren in der Schweizer Uhrenindustrie der Gedanke vor: "Kleiner, flacher & kompakter" dies hat zum einen den Ursprung in dem Wahn der frühen 70er in denen Firmen wie AP oder Lassale sich überboten in den superflachen mechanischen Uhrwerken mit denen man versuchte gegen die Q-Uhr Wettbewerbsvorteile zu erzielen, diesen Virus hat man im Vallee de Jou nie mehr ausrotten können selbst heute ist das noch latent vorhanden auch wenn die Gehäuse immer fetter werden. Zum anderen will man mit flachen Werken modular viel aufbauen können. Auch ist der Geist der 70 der der lautete "Kleine Unruhe hohe Frequenz ergibt hohe Gangstabilität und weng Beeinflussung durch Stöße" hier immer noch ihren Ursprung.

Das passt alles nicht zu einer Breguet Spirale. Dann gibt es Berechnungen die ermitteln das die Vorteile einer Breguetspirale zum Verhältnis einer verbesserten Flachspirale die aufgrund der nicht aufgebogenen Endkurve ( jeder Knick ist immer eine Materialveränderung ) nicht verändert wurde nicht aufwiegen.

Redest du mit Experten die sich nur mit Unruhschwingsystemen beschäftigen dann halten die selbst eine Schraubenuruhe ale ALS als schleche Preformence da werden Dinge wichtig wie z.B. " Wieviel Platz ist zwischen der Unruhe und andere Werkkomponenten ? Kommt es zu Luftverwirbelungen ? Die Unruh sollte also lieber kleiner sein als maximal wie wie das als Sammler & Liebhaber gerne sehen. Schraubnunruhe ala Breguet heute sind von der Masenträgheit ein Rückschritt um 50 Jahre..... aber cool :-)

Da können wir dann über Schnecke / Kette oder über Uhrwerke mit Remontoire weiter machen..... :whistling:

Brauche ich eine Fußraumbeleuchung im Auto ? Nöö aber geil ist es schon gelle ? :mrgreen:

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playman205
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Re: Aktuelle Bedeutung der Breguet-Spirale

Beitrag von playman205 »

Boah Roland,

Du machst hier ja einen vollen Rundumschlag. :mrgreen: :wink:

@andreaseck: Auf keinen Fall diesen Thread lesen! :wink:
Roland Ranfft hat geschrieben:
playman205 hat geschrieben:Warum sind das so wenige?
Ganz einfach: Eine teure Uhr muß nicht gut sein, sie muß nur teuer sein und teuer aussehen. Und damit sie auch aus der Ferne erkennbar ist, ist ein Design erforderlich, das möglichst weit neben der Spur liegt.
Klartext: So ein Ding darf grottenschlecht sein (muß es aber nicht) und dazu potthäßlich (muß es).
Als Vintagefan glaube ein Teil von mir ja auch, dass früher alles besser war. Aber ich denke mir eben auch, dass heutige Highend-Uhrenkonstrukteure keine Vollidioten sind und sich deswegen etwas dabei denken (und zwar nicht nur hinsichtlich Kosteneinsparungspotenziale :wink:), wenn sie ein bestimmtes Layout und eine bestimmte Konfiguration des Hemmungsteils wählen.

Natürlich gibt's dabei auch technische "Moden", da fällt mir z.B. die Unruhbrücke ein, die erst Rolex hatte und dann bei AP und JLC auch auftauchte. Ein optisches Element, dass ich jetzt nicht notwendigerweise für eine zündende Verbesserung halte (böse Zungen behaupten ja, Rolex hätte die Unruhbrücke im 3135 nur deshalb eingeführt, um einen sicheren Schutz für die Unruh vor taumelnden Rotoren durch gebrochene Rotorgleitlager aufzubauen :mrgreen:), das aber gut zum Absetzen von der Konkurrenz mit ihren konventionellen Kloben taugt. Und dazu noch u.U. im Kern japanisch, die älteste Uhr mit Unruhbrücke, die ich per Bild gesehen habe, war eine Vintage-Grand-Seiko aus den 1960ern. :wink:
Roland Ranfft hat geschrieben:
playman205 hat geschrieben:kontroverse Purists-Diskussion über die uhrmacherische Philosophie von Lange
Du lieferst ja gleich am Anfang das Stichwort. Die Philosophie ist einfach: Gewinnoptimierung, und da spielt die Ausschöpfung des verfügbaren Raumes für eine große Unruh und eine Breguet-Spirale keine Rolle. Das macht ein Uhrwerk besser, bringt aber nichts ein.

A. Lange würde im Grab rotieren, wenn er ein Machwerk wie die die Lange 1 sehen müßte. Man weiß ja nicht einmal, was das Auge mehr zum Tränen bringt, die wüste Verteilung der Zeiger und Fenster auf dem Zifferblatt oder das Werk, das jeden Grundsatz für ein gutes Uhrwerk verhöhnt. Aus einem Trecker mit Kettensägenmotor wird auch dann kein Formel-I-Wagen, wenn man einen Spoiler mit Genfer Streifen dranschraubt.

Edel-Uhren werden nicht für Uhren-Liebhaber gebaut, sondern für Leute, die sich nicht darum scheren müssen, was sie fürs Geld bekommen. Und da es keine Korrelation zwischen Liebe zur Uhr und Durchmesser des Geldbeutels gibt, sind viele dieser Uhren einfach aufwendig dekorierter Müll
[...]
Ich habe jetzt nicht einen Hauch Deiner technischen Detailkenntnisse und kann Dir deswegen selbst auch nicht wirklich widersprechen, aber holla, das ist schon starker Tobak. :wink:

Ich habe mir bei den Dreizeiger-Langes noch nicht das Räderwerk der Lange 1 anhand von Fotos näher angesehen, was vor allem daran liegt, dass es durch die Dreiviertelplatine so gut versteckt ist. Und natürlich kann ich auch nicht ausschließen, dass mich die spektakuläre Dekoration unter dem Glasboden mindestens unterschwellig beeindruckt. Aber selbst Lange-Kritiker wie Odets (der im übrigen ja auch selbst mehrere Lange besitzt) gestehen den Lange-Uhren im Gesamtbild außergewöhnliche Hochwertigkeit zu, nicht nur bei der dekorativen Finissage. Ihre Kritik richtet sich mehr gegen die Philosophie, kostenintensive Show-Effekte für's Auge mit Kosteneinsparung im nichtsichtbaren Teil (darunter auch bei technischer Finissage auf der Zifferblattseite, Konstruktion der Zeigerstellung und eben dem Hemmungsdesign mit zu kleinen Unruhen, Flachspirale und konventionellem Rücker) zu kombinieren. Das ist bei Lange gerade deshalb bedauerlich, weil man ja mit dem Ideal traditioneller Spitzenuhrmacherei im Markenauftritt spielt, und dazu gehört natürlich selbst bei konventioneller technischer Auslegung im Stil des 19. Jhdts., dass man den technischen Aspekten des Werks mindestens so viel Aufmerksamkeit widmet wie der Glasbodenoptik mit Schräubchen, Schliffen und Gravuren. Odets nannte das "unehrlich", weil es mehr verspricht als es am Ende bei näherer Betrachtung hält. Aber das demontiert die Uhr ja noch nicht völlig.

Aber um mal von Lange weg und wieder zur Breguet-Spirale hin zu kommen, mich irritiert mindestens in gleichem Maße, dass Hersteller, die ich der Showfinissage für gänzlich unverdächtig halte, wie PP und JLC bei ihren Werken die Breguet-Spirale ebenfalls ausgemustert haben. Gerade JLC hatte ja mit dem 975er-Autotractor-Werk aus der Master Hometime das Ziel, ohne den Zwang einer stark reduzierten Bauhöhe ein zukunftsträchtiges Werk zu bauen. Und trotzdem hat man eine Flachspirale verwendet, obwohl eine Breguet-Spirale sicherlich möglich gewesen wäre. Und bei einer Ingenieur-Marke wie JLC vermute ich (vielleicht naiverweise) dafür erst mal einen technischen Grund. Deswegen fragte ich ja. Es ist immer leicht (und ich tendiere ja selbst dazu), erst mal Gewinnmaximierung bei den bösen Herstellern zu vermuten, die's in der guten alten Zeit der Uhrmacherei im diffusen Licht der Petroleumfunzeln natürlich nie, niemals gegeben hat. :wink:

Holger
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playman205
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Re: Aktuelle Bedeutung der Breguet-Spirale

Beitrag von playman205 »

Hi Hauke!
Hauke Heffels hat geschrieben:[...]
Auch ist der Geist der 70 der der lautete "Kleine Unruhe hohe Frequenz ergibt hohe Gangstabilität und weng Beeinflussung durch Stöße" hier immer noch ihren Ursprung.

Das passt alles nicht zu einer Breguet Spirale. Dann gibt es Berechnungen die ermitteln das die Vorteile einer Breguetspirale zum Verhältnis einer verbesserten Flachspirale die aufgrund der nicht aufgebogenen Endkurve ( jeder Knick ist immer eine Materialveränderung ) nicht verändert wurde nicht aufwiegen.
Okay, das wäre ja schon mal ein technisches Argument. Selbst wenn die verbesserte Flachspirale heutiger Prägung nur in etwa genauso gut im Schwingverhalten ist wie die Breguet-Spirale, kommt dank ihrer kostengünstigeren Fertigung erstere natürlich auch bevorzugt in Betracht, ohne dass man von Rotstift reden müsste.
Hauke Heffels hat geschrieben:Redest du mit Experten die sich nur mit Unruhschwingsystemen beschäftigen dann halten die selbst eine Schraubenuruhe ale ALS als schleche Preformence da werden Dinge wichtig wie z.B. " Wieviel Platz ist zwischen der Unruhe und andere Werkkomponenten ? Kommt es zu Luftverwirbelungen ? Die Unruh sollte also lieber kleiner sein als maximal wie wie das als Sammler & Liebhaber gerne sehen. Schraubnunruhe ala Breguet heute sind von der Masenträgheit ein Rückschritt um 50 Jahre..... aber cool :-)

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Ja, aber klar! :D Nur ist es halt gerade bei Lange mit ihrem beworbenen Markeninhalt der althergebrachten Uhrmacherei inkonsequent, wenn sie zur alten Schraubenunruh nicht auch die alte Breguet-Spirale kombinieren. Selbst als Showeffekt ohne jeden technischen Hintergrund fände ich das stimmiger und näher an der eigenen Philosophie. Aber das ist natürlich dann wirklich eine puristische Überlegung.

Holger
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Re: Aktuelle Bedeutung der Breguet-Spirale

Beitrag von armin »

Roland Ranfft hat geschrieben: ... und man staunt, daß es überhaupt noch Firmen gibt, die sich um technische Qualität und gutes Design kümmern.
Kurze Zwischenfrage zur technischen Qualität: Welche Hersteller sind das deiner Meinung nach?

Armin
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Re: Aktuelle Bedeutung der Breguet-Spirale

Beitrag von Roland Ranfft »

Moin Hauke,
Hauke Heffels hat geschrieben:Gerstenberger hat am Ende seiner Tätigkeit gesagt " Würde ich es nochmal anfangen dann würde ich grosse leichte Unruhen bauen..."
Möglich, daß er es erst am Ende seiner Tätigkeit gesagt hat, aber gedacht hat er es wohl schon im ersten Lehrjahr.

Die Rechnung ist doch einfach:
Verdoppelt man den Durchmesser der Unruh, kommt man mit einem Viertel der Masse auf das gleiche Trägheitsmoment. Da die Luftreibung bei den zur Diskussion stehenden Dimensionen keine nenneswerte Rolle spielt, ist diese Einzelmaßnahme eine Verbesserung in jeder Hinsicht. Wer also den für die Unruh verfügbaren Platz nicht nutzt, sollte wenigstens auf seiner Homepage den Anspruch verkünden, die besten Uhren bauen zu wollen. Wollen nützt nix, man muß es in Rahmen seiner beschränkten Möglichkeiten auch tun.

Moin Holger
playman205 hat geschrieben:Als Vintagefan glaube ein Teil von mir ja auch, dass früher alles besser war.
Das glaube ich eigenlich nicht. Die heute kostengünstig machbare Präzision verringert den Druck, alle Teile eines Werks zu optimieren. Die Uhr läuft auch akzeptabel, wenn man nicht alle Optimierungsmöglichkeiten ausschöpft. Aber bei einer teuren Uhr erwarte ich wenigstens, daß die Optimierungen realisiert werden, die weder bei der Konstruktion, noch in der Fertigung etwas kosten. Und was soll ich dann zu einer hirnlos zersägten 3/4-Platine sagen, die nach Definition nicht einmal eine ist, weil es einen separaten Ankerradkloben gibt. Oder zu einer Miniatur-Unruh, die vom Optimum so weit weg ist, wie irgend denkbar. Der Platzbedarf für die zwei Federhäuser ist einfach kein Argument. Das geht mit einem Minimum an Hirn auch besser:

Bild

Wer es emotionslos sieht, erkennt bei diesem Uhrwerk eher eine (geteilte) 3/4-Platine, und eine solche Konstruktion degradiert das Lange-Produkt zum Machwerk. Die Idee hinter der 3/4-Platine, daß sich alle Räderwerklager auf einer Platine befinden, ist sogar perfekter umgesetzt als bei alten Lange-Uhren; die hatten einen kleinen Kloben fürs Ankerrad auf der Platine, und eine kleine Brücke für das Federhaus unter dem Sperrad. Und beides ist hinsichtlich der Toleranzen der Lagerabstände schädlicher als separate Brücken oder Kloben auf der Basisplatine.
playman205 hat geschrieben:Es ist immer leicht (und ich tendiere ja selbst dazu), erst mal Gewinnmaximierung bei den bösen Herstellern zu vermuten, die's in der guten alten Zeit der Uhrmacherei im diffusen Licht der Petroleumfunzeln natürlich nie, niemals gegeben hat.
Natürlich unterlagen Uhrmacher auch in Licht ihrer Funzel wirtschaftlichen Zwängen, und die erfolgreicheren waren sicher oft erfolgreich, weil sie den Gewinn maximiert haben. Aber es wurden wenigstens nicht ohne Not ein Werk schlechter gemacht als man konnte.

Gruß, Roland Ranfft
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Re: Aktuelle Bedeutung der Breguet-Spirale

Beitrag von Hauke Heffels »

Hallo Roland,

Luftwiederstand ist sicherlich zu vernachlässigen ... hatte ich auch nicht geschrieben sondern Luftverwirbelungen! Diese spielen eine nicht zu unterschätzende Rolle. Ich kann das deshalb sagen weil ich aktuell an eine solchen "Projekt" arbeite. Eine Unruhe von Flachspirale auf Breguetspirale um zu rüsten bei den gleichen Werkdimensionen bedeutet das der Unuhreif näher an den Ankerkloben rücken muß da man Platz für Kurve desr Spirale benötigt. Die Aerodynamik ist dann eine andere die Amplitude wird nachhaltig beeinflusst und erfodert das der Ankerkloben entweder abgesenkt wird oder der Unuhkloben höher werden muss. Einige Verhältnisse in Uhrwerken sind nicht so ohne weiteres variabel und ich kann ein wenig verstehen warum manche Hersteller bestehende Systeme / Erkenntnisse in das neue Kaliber 1:1 übertragen ohne wirkliche Veränderungen vor zu nehmen. Das diese Caliber dann irgendwie zusammen "gestoppelt" aussehen stört aber die meisten nicht weil Sie es nicht erkennen. Bestes Beispiel ist derzeit für mich JLC. da wird adaptiert und zusammen geschraubt was vor 50 Jahren nicht mal das Prototypen Stadium überstanden hätte.

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