Watchtime vs. Carbontime ?

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Heinrich
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Re: Watchtime vs. Carbontime ?

Beitrag von Heinrich »

Ralf hat geschrieben:Nur ist die Längenänderung das sehr viel kleinere Problem. Bestimmendes Element ist die Änderung des E-Moduls über Temperatur. Selbst eine hundsgewöhnliche Kombination Stahl/Messing hätte nur 0,17s/d°C, wenn es nur um die Längenänderung ginge. Details siehe das PDF zur FAQ: Temperatureinfluss auf den Gang (Vorsicht, Mathe)!
Vielen Dank für den Link zu diesem wirklich sehr interessanten und lehrreichen Dokument!

In der Zeitschrift Armbanduhren 1/2010 liest man auf Seite 64: „Hinter dem geschützten Begriff ‚Zerodur’ verbirgt sich ein keramischer Glaswerkstoff, der nicht nur antimagnetisch ist, sondern dessen Elastizitätsmodul sich gleichzeitig über einen sehr weiten Temperarturbereich absolut neutral verhält. Zerodur verfügt also übe eine Art von eingebauter Thermokompensation. Darüber hinaus ist das Material viermal leichter als Stahl und in oben erwähntem DRIE-Ätzverfahren problemlos mit hoher Genauigkeit zu bearbeiten.“
Bei der Cartier ID One besteht wohl nur die Spirale aus Zerodur während für die Unruhe angeblich ‚kristalliner Kohlenstoff’ verwendet wird. Ich habe daher spaßeshalber mal für die temperaturabhängige Längendehnung (0.1*10^-6/K) und die Temperaturabhängigkeit des E-Moduls (etwa 70*10^-6/K im Bereich zwischen 0 und 40°C) die Werte aus dem Zerodur-Katalog und für die temperaturabhängige Längendehnung von Kohlenstoff einen Wert von 1.2*10^-6/K in die Näherungsformel eingesetzt. Anstelle einer typischen Gangabweichung von -10 Sekunden pro Tag und Grad für konventionelle Materialien erhält man ein Abweichung von weniger als +3 Sekunden pro Tag und Grad für diese Kombination (im Gegensatz zu Stahllegierungen nimmt der E-Modul von Zerodur mit der Temperatur zu). Da sind zwar keine Welten dazwischen, aber eine Verbesserung um mehr als den Faktor 3 ist ja für den Anfang auch schon mal nicht schlecht.

Ich finde das Thema daher nach wie vor sehr spannend.

mhanke hat geschrieben:Für mich geht die Entwicklung der mechanischen Uhr in Richtung 10 Hertz-Uhr. 72.000 a/h, bei Wartungsintervallen von mehr als zehn Jahren, sind Eigenschaften, die in den nächsten Jahren erreichbar sind. Noch schnellere Schwingsysteme werden vielleicht nicht viel Sinn machen, auch wenn technisch machbar. Ich bin nur gespannt, wer als erster mit einem entsprechenden Serienprodukt auf dem Markt sein wird.
Hauptsache noch vor der ersten bemannten Expedition zum Mars ...

Heinrich
Manni
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Re: Watchtime vs. Carbontime ?

Beitrag von Manni »

Hallo,

nochmal etwas zum Thema Zerodur, Ceran, oder wie auch immer, nennen wir es einfach Glasceramic.
Diese hat gerade den Vorteil dass das sogenannte E-Modul über einen sehr großen Temperaturbereich relativ konstant bleibt, wenn das Material denn dementsprechend eingestellt ist.
Diese Eigenschaft im Zusammenhang mit der quasi nur noch theoretisch vorhandenen Wärmeausdehnung, mach es ja gerade so interessant für die Anwendung im Bereich der Hemmung.

Es gibt dazu im Netz unendlich viel zu lesen, wobei es natürlich dabei kaum im speziellen um die Anwendung im Uhrenbau geht. Wie denn auch, so neu wie das Thema für die Branche ist.

Interessant sind aber einige Grafiken zu dem Thema auf bam.de


Gruß


Ach ja, und Ralf (soll sich hiermit angesprochen fühlen),

ich glaube nicht das Deine Formeln für weniger Verwirrung sorgen als so manches anderes Posting hier.
Im Gegenteil.
Was glaubst Du denn wieviel Leute hier Deinen Ausführungen folgen können, ich würde mal behaupten nicht viele.
Und damit möchte ich niemanden beleidigen, aber wer steckt schon noch jeden Tag so tief in dieser Materie wie Du, nur die wenigsten.
(bitte nicht böse sein, danke)
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starks
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Re: Watchtime vs. Carbontime ?

Beitrag von starks »

Hallo Manni

Wenn das so ist wie du sagst ist eine 10 Jahre Intervall Uhr schon was feines. Da habe ich mich wohl etwas von meiner eigenen Einstellung blenden lassen, meine gehen regelmässig zum Meister.

Gruss
Hobby: Den grösstmöglichen Aufwand betreiben, mit dem kleinstmöglichem Nutzen :-)
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Ralf
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Re: Watchtime vs. Carbontime ?

Beitrag von Ralf »

Heinrich hat geschrieben:... Ich habe daher spaßeshalber mal für die temperaturabhängige Längendehnung (0.1*10^-6/K) und die Temperaturabhängigkeit des E-Moduls (etwa 70*10^-6/K im Bereich zwischen 0 und 40°C) die Werte aus dem Zerodur-Katalog und für die temperaturabhängige Längendehnung von Kohlenstoff einen Wert von 1.2*10^-6/K in die Näherungsformel eingesetzt. Anstelle einer typischen Gangabweichung von -10 Sekunden pro Tag und Grad für konventionelle Materialien erhält man ein Abweichung von weniger als +3 Sekunden pro Tag und Grad für diese Kombination (im Gegensatz zu Stahllegierungen nimmt der E-Modul von Zerodur mit der Temperatur zu). Da sind zwar keine Welten dazwischen, aber eine Verbesserung um mehr als den Faktor 3 ist ja für den Anfang auch schon mal nicht schlecht. ...
Die auf Seite 5 oben genannten Werte -10 bis -21s/d°C beziehen sich auf eine Kombination aus gewöhnlichem Federstahl und Messing.
ebendort hat geschrieben:... die vor Nivarox und Co tatsächlich verwendeten Federstähle ...
Nivarox I + Glucydur schafft heute schon unter ±0,6s/d°C, was die Forderung der C.O.S.C. darstellt. +3s/d°C wäre also eine Verschlechterung um mind. Faktor 5!
Man liest sich!

Ralf
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mhanke
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Re: Watchtime vs. Carbontime ?

Beitrag von mhanke »

starks hat geschrieben: Nun erlaube ich mir aber die Frage zu stellen, ob 10 Jahre Wartungsintervall im Sinne eines Herstellers sind?
Doch, ja. Im Verkauf von Neuuhren lässt sich viel mehr Geld verdienen als beim SAV. Für letzteren gibt es auch kein Personal mehr, was bedeutet, die Uhren bleiben noch länger liegen, die Kunden sind noch mehr sauer, und wechseln beim nächsten Uhrenkauf die Marke. Es gibt eine veritable Servicekrise, die noch dazu durch den Kontrollwahn vieler Hersteller, der verhindert, dass freie Uhrmacher an den Uhren "herumpfuschen" dürfen, verstärkt wird. Daher sind derart lange Serviceintervalle durchaus im Interesse der Hersteller.

Marcus
"Auf Komplikationen fallen eigentlich nur einfache Gemüter herein" - CF
Roland Ranfft
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Re: Watchtime vs. Carbontime ?

Beitrag von Roland Ranfft »

Moin Kinnings,
lottemann hat geschrieben:ein wichtiger Aspekt, der für mich den Reiz mechanischer Uhren
ausmacht, ist die "Ewigkeit", für die sie gemacht (oder wenigstens
geeignet) sind. D.h. sie sind bei ordentlicher Pflege in der Lage,
unter Beibehaltung ihrer wichtigsten Eigenschaft, der genauen
Messung der Zeit, mich und meine Kinder weit zu überleben.
Das gilt m. E. weder für Quarzuhren, noch für Uhren, die ohne
3D-Drucker oder sonstiges computerbasiertes High-Tech nicht
zu fertigen sind.
Eine mechanische Uhr muß für mich durch einen qualifizierten
Uhrmacher, dem man ein Stück Stahl, einen Rubin und einen
Klotz Messing hinwirft reparierbar sein.
Bingo! Wie man mit einem aufwendigen Anlagenpark und unorthodoxem Materiaien eine genaue Uhr herstellen kann, wurde längst demonstriert. Und in diesem Sinne hat für mich ein Quarzschwinger und ein fein strukturiertes Stück Silizium weit mehr Charme als eine grobe Stümperei wie die Silizium- oder Keramikspirale. Will sagen: Wenn schon Schnellschwinger, dann richtig schnell, und wenn schon Silizium, dann doch bitte nach heutigem Stand der Technik, und kein Bollerwagen mit Spoiler.

Und immer daran denken: Sobald die Siliziumspirale von der Keramikspirale abgelöst wird, werden die Herstellungsanlagen für erstere verschrottet, und alle Nachfolger ereilt das gleiche Schicksal. Dieser Zyklus reduziert solche Machwerke zu Wegwerfartikeln, und die Verbraucher werden nicht über Generationen so blöd sein, viel Geld dafür auszugeben.

Mich würde eher eine Weiterentwicklung der Koaxialhemmung vom Hocker reißen, oder noch besser, eine rein mechanische Stimmgabeluhr - also gute Ideen statt Materialschlacht.

Gruß, Roland Ranfft
Das größte Uhrwerk-Archiv im Internet:
http://www.ranfft.de/cgi-bin/bidfun-db. ... fft&&2uswk
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indiana
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Re: Watchtime vs. Carbontime ?

Beitrag von indiana »

Eine alte Breguet vom Meister selbst ließe sich heute noch
von kundiger Hand reparieren!
Wie das mit den High-Tech Material in wesentlich kürzerer
Zeit aussieht haben ja die Kollegen schon geschrieben.
Sieht man ja auch an den Quarzmodellen aus den 70ern.
Wenn sie laufen ist ok aber brauche da mal Ersatzteile wie
E-Block usw. dann ist jetzt nach 30-40 Jahren schon Feierabend. :wink:
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playman205
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Re: Watchtime vs. Carbontime ?

Beitrag von playman205 »

Heinrich hat geschrieben:Die relativ geringe Resonanz zu dem Thema kann natürlich darauf zurückzuführen sein, dass Ralf mit dem Gewicht seiner Moderatorenstimme meinen Beitrag quasi sofort in den Bereich des Absurden verwiesen hat. Mann kann es aber auch dahingehend interpretieren, dass die Technik bei mechanischen Armbanduhren heute fast nur noch dekorativen Charakter hat.
Wir reden hier über so viel Blödsinn, da kannst Du sicher davon ausgehen, dass wir Deine hochinteressanten Beiträge zur Sache nicht einfach wegbügeln werden. :wink:

Der dekorative und auch etwas nostalgische Charakter traditionellen Handwerks spielt dabei sicherlich eine Rolle, dass neue Materialien aus dem Silizium-Reich bei "alteingesessenen" Uhrenfans weniger Begeisterung erzeugen. Silizium in mechanischen Uhren erzeugt da einen Bruch in der individuellen Wahrnehmung von klassischer Uhrenmechanik. Aber wie es schon mehrfach angeklungen ist, man muss auch bei den zweifellos vorhandenen Vorteilen der neuen Materialien abwägen, inwieweit sie die möglichen Nachteile bei der Langzeitwartbarkeit durch die aufwändigere Produktionstechnik auffangen. Solche Überlegungen bewegen natürlich vorwiegend Uhrenfans, die den Vorteil von Langzeitwartbarkeit durch eine höhere Vintagelastigkeit in der Sammlung täglich erleben. Alle anderen haben häufig gar nicht den Zeithorizont für die Lebensdauer ihrer Uhr im Kopf und gewichten dadurch die gegenwärtigen Vorteile der Materialien in der Performance höher. Beides sind berechtigte Standpunkte und die Kontroverse zwischen ihnen ist nur natürlich.

Und dieser Punkt hier...
Manni hat geschrieben:und ich wage mal zu behaupten das ca. 70 % aller verkauften mechanischen Uhren so gut wie gar keine Wartung erhalten, solange sie denn noch laufen.
...kommt in diesem Zusammenhang noch erschwerend hinzu. Ich denke auch, dass das für aktuell erworbene Uhren eine mögliche Größenordnung ist. Wer über Wartung an sich aber nicht nachdenkt, wird auch an Langzeitwartbarkeit keinen Gedanken verschwenden und einfach kaufen, was gerade angeboten wird, unabhängig vom technischen Hintergrund.

Holger
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Thomas H. Ernst
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Re: Watchtime vs. Carbontime ?

Beitrag von Thomas H. Ernst »

Manni hat geschrieben:Was glaubst Du denn wieviel Leute hier Deinen Ausführungen folgen können, ich würde mal behaupten nicht viele.
Deswegen ja die Formeln. Sollte man mal den verbalen Ausführungen nicht mehr folgen können, sagen Formeln klipp und klar was Sache ist.
Grüsse Thomas
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Heinrich
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Re: Watchtime vs. Carbontime ?

Beitrag von Heinrich »

Ralf hat geschrieben:Nivarox I + Glucydur schafft heute schon unter ±0,6s/d°C, was die Forderung der C.O.S.C. darstellt. +3s/d°C wäre also eine Verschlechterung um mind. Faktor 5!
Danke für die Richtigstellung. Ich habe mir jetzt auch noch mal deine entsprechenden Beiträge in der Rubrik FAQ durchgelesen. Es wäre wohl besser, die Spirale aus Zerodur mit einer Unruhe aus Magnesium zu kombinieren. Dann könnte man den primären Kompensationsfehler theoretisch fast auf dieses Niveau reduzieren. Für einen kleinen sekundären Kompensationsfehler bringt die Spirale aus Zerodur theoretisch ebenfalls gute Voraussetzungen mit, weil der E-Modul in dem relevanten Temperaturbereich nahezu linear von der Temperatur abhängt. Ich bleibe noch optimistisch.

Heinrich
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Heinrich
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Re: Watchtime vs. Carbontime ?

Beitrag von Heinrich »

Roland Ranfft hat geschrieben:Mich würde eher eine Weiterentwicklung der Koaxialhemmung vom Hocker reißen, oder noch besser, eine rein mechanische Stimmgabeluhr - also gute Ideen statt Materialschlacht.
Etwa so ? :wink:

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Heinrich
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Axel66
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Re: Watchtime vs. Carbontime ?

Beitrag von Axel66 »

indiana hat geschrieben:Eine alte Breguet vom Meister selbst ließe sich heute noch
von kundiger Hand reparieren!..
O.K., ich habe keine Ahnung, aber eine Frage sei erlaubt... könnte man nicht heute noch den Schaltkreis einer Astron (1969) nachbilden?
Und klar ließe sich eine Brequet reparieren - aber für das Geld kannst Du auch elektrischen Hokuspokos nachbauen lassen. :whistling:

Gruß,

Axel
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Thomas H. Ernst
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Re: Watchtime vs. Carbontime ?

Beitrag von Thomas H. Ernst »

Axel66 hat geschrieben:... könnte man nicht heute noch den Schaltkreis einer Astron (1969) nachbilden?
Klar könnte man das.

Aber was Service und Ersatzteile angeht, messen viele eh mit zwei Massstäben. Einerseits wird der Vorteil der mechanischen gegenüber der elektronischen Uhr mit der Möglichkeit, auf alle Zeiten Ersatzteile nach zu fertigen, hervorgehoben. Andererseits wird rum geheult wenn Seiko offiziell nur 10 Jahre nach Einstellung einer Linie Material liefert.
Grüsse Thomas
Euer Board-Admin
Manni
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Re: Watchtime vs. Carbontime ?

Beitrag von Manni »

lottemann hat geschrieben:Eine mechanische Uhr muß für mich durch einen qualifizierten
Uhrmacher, dem man ein Stück Stahl, einen Rubin und einen
Klotz Messing hinwirft reparierbar sein.

Hallo,

ich würde ja zu gerne einmal sehen wie ein Uhrmacher, sei er auch noch so gut, aus einen Klotz Messing, einen Stück Stahl und einem Rubin eine „moderne“ Glucydur Uhruh herstellt.
Immerhin ein nicht ganz unwichtiger Teil einer modernen mechanischen Uhr.
Den Trick muss mir aber mal jemand zeigen.

Ach, das geht nicht so ohne weiteres, na dann.......
Dann sind wir jetzt ja doch schon genau dort wo wir mit der Glas-Ceramic-Spirale oder Unruh auch wären.
Denn auch bei vielen der heutigen Materialien gelangt ein gewöhnlicher Uhrmacher sehr schnell an seine Grenzen was die Herstellung gewisser Teile einer modernen mechanischen Armbanduhr angeht.

Und wenn dies eines der Argument ist, das die Traditionsbewussten unter Euch am liebsten nur Uhren haben wollen, die der Uhrmacher um´s Eck, in jeder der Einzelteile auch noch selber herstellen könnte, na dann gebt mal alle schön eure Speedy´s her, die braucht Ihr dann ja nicht mehr. Die ist dann ja viel zu fortschrittlich für Euch.

Es ist doch so, die Uhreinindustrie war lange Zeit ein Vorreiter was neue Produktionsmethoden und neue Materialien anbelangt, immer im Bestreben das Beste mit möglichst wenig Aufwand zu erschaffen.
Schon in den Anfängen der Industrialisierung dieser Branche, da hat man sehr schnell gemerkt das es nichts bringt wenn jeder an seiner kleinen Werkbank sitzt, und versucht kleinste präziseste Teile in reiner Handarbeit zu fertigen.
An Serienfertigung braucht man da gar nicht erst zu denken, geschweige denn an immer gleich bleibende Präzision.

So kam es denn auch sehr schnell, das sich Unternehmen gründeten, welche sich auf die Fertigung gewisser besonders schwierig herzustellender Komponenten spezialisierten.
Die Spiralen waren da mit eines der ersten Teile die dieser Industrialisierung zum Opfer fielen.
War sie doch eines der Teile, deren Herstellung eine besondere Aufmerksamkeit abverlangte.

Und, was hat sich seit diesen ersten Tagen geändert?
Nicht viel würde ich sagen.

Wir setzten immer noch Maschinen dazu ein, um eine möglichst große Präzision in Verbindung mit möglichst großen Stückzahlen zu erreichen. Wir setzten Maschinen halt nur noch umfangreicher ein als früher, das ist alles.

Und selbst die edelsten Uhren der Welt werden heute mehr oder weniger mit modernen CNC-Maschinen gefertigt. Weil der Kunde heutzutage nämlich mehr denn je ein in allen Maßen perfektes Finish aller Teile der Uhr erwartet. Zu Recht wie ich meine, denn die Technik dafür ist ja vorhanden.
Es wird auch nicht mehr lange dauern, und dann wird auch das Endfinish der edelsten und teuersten Uhren nicht mehr per Hand erfolgen, vielleicht noch die Endkontrolle durch den Menschen, aber das war es dann auch schon. Der Mensch ist überflüssig, nein, sogar hinderlich wenn es um allergrößte Präzision geht.

Und da wollen wir noch anfangen den Moralapostel zu spielen, und darauf beharren das möglichst nicht zu viel Neues an technologischer Entwicklung in unsere Schmuckstücke gelangt?
Wozu?
Wozu den technischen Fortschritt aufhalten?

Seien wir doch lieber froh das es in absehbarer Zeit rein mechanische Uhren geben könnte, die locker mit einer heutigen handelsüblichen Quarzticke mithalten könnten.
Denn das sichert die Zukunft der mechanischen Uhr, und somit die Zukunft unseres „Hobby´s“ , wie auch die Zukunft der ganzen Branche.

Den ewig Gestrigen möchte ich mal folgendes sagen.

Sammelt ruhig weiter Eure alten Schätzlein, da spricht ja auch nichts dagegen, im Gegenteil, denn die Vergangenheit ist es oftmals durchaus wert bewahrt zu werden.
Nur verteufelt bitte nicht den Fortschritt, denn auch die Vergangenheit war mal die Zukunft für Menschen vor unserer Zeit. Und was aus mach einer heutigen Idee wird, wissen wir doch erst dann wenn wir es probiert haben.

Erfreut Euch doch lieber an dem was die Zukunft noch so alles für uns bereit hält.

Viele der neuen Entwicklungen werden sich vermutlich auch nie durchsetzten, aber so ist das nun mal im Leben, der Mensch probiert und lernt dabei (im bestmöglichen Fall).
Wenn Ihr den Fortschritt aber andauernd ausbremst, dann gibt es in Zukunft weniger auf das wir mit Stolz zurückblicken können.

Ich weiß nur, ich bin froh und dankbar über jede neue Idee die mir begegnet, sei sie im ersten Augenblick auch noch so abwegig. Darüber entscheiden, ob ich es denn später auch wirklich selber so haben möchte kann ich ja immer noch.

Und das lasst Euch mal gesagt sein, die Idee mit der Glas-Ceramic-Spirale und Unruh halte ich für derzeit mit das Beste was mir seit langem begegnet ist.
Obwohl ich ja sagen muss das ich in dem Zusammenhang auch noch mal über Carbon-Nanotubes nachdenken würde, vor allem was Schmierstofffreie Lager angeht, da könnte nämlich in Zukunft noch „etwas gehen“. Nur so als Idee.

Als ich vor vielen Jahren einmal schrieb das ich mir zukünftig auch Kugellager aus Ceramic vorstellen könnte, da haben mich die gleichen Leute belächelt die auch heute gegen den Einsatz weiterer neuer Materialien stimmen.
Wenn sie heute aber eine solche Uhr von JLC oder einem anderen Hersteller bekommen können, dann würden die wenigsten von eben diesen Leuten eine solche Uhr ablehnen, ganz sicher.
Das hat man ja auch hier schon mitbekommen.
Aber auch nur weil sich diese neue Technik mittlerweile etabliert hat.

Aber auch damals hieß es, ach wie kann man nur, der Untergang der mechanischen Uhr, ach was, nein, des ganzen Abendlandes.
Die ganze Welt schien einzustürzen nur weil eine neue Idee ihren Anfang nahm.

Und,......es gibt die mechanische Uhr immer noch.
Im Gegenteil, durch solch neue Ideen ist das Interesse an der mechanischen Uhr sogar noch eher angewachsen.

Und so wird es auch in Zukunft sein, Ideen kommen und gehen, und wenn wir alle es richtig anstellen, dann ist der mechanischen Uhr hoffentlich noch ein langes, langes Leben gesichert.
Ich würde es mir für Euch, für mich, einfach für uns alle, jedenfalls sehr wünschen.


So, und nun hoffe ich, ich habe Euch richtig schön gelangweilt mit meinem Ergüssen, das habt Ihr nun davon :mrgreen:

Gruss
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Heinrich
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Re: Watchtime vs. Carbontime ?

Beitrag von Heinrich »

Manni hat geschrieben:... So, und nun hoffe ich, ich habe Euch richtig schön gelangweilt mit meinem Ergüssen, das habt Ihr nun davon :mrgreen: ...
Also ich fand es unterhaltsam zu lesen. Ich glaube auch, dass es eine Illusion ist, dass ein qualifizierter Uhrmacher sämtliche Teile für eine mechanische Armbanduhr aus der aktuellen Produktion notfalls neu anfertigen könnte. Die Nachfertigung eines Klinkenradsatzes für einen Automatikaufzug dürfte zum Beispiel ohne die entsprechenden Produktionsmaschinen schlichtweg unmöglich sein. Selbst bei einem geometrisch sehr einfachen Teil wie der Spirale wird der Uhrmacher in den meisten Fällen schon die Segel streichen müssen, weil der Herstellungsprozess für das Originalteil ja nicht nur das Wickeln von Meterware und das Anbiegen der Endkurven umfasst, sondern auch eine anschließende Wärmebehandlung über mehrere Stunden unter einer Schutzgasatmosphäre oder gar unter Vakuumbedingungen mit einer sehr genau einzuhaltenden Prozessführung. Und selbst wenn wenigstens noch eine antiquierte Vorrichtung zum Abzählen einer bereits vorkonfektionierten Spirale vorhanden ist, fehlt es eventuell am dem mikroprozessorgesteuerten Laserschweißgerät, mit dem die fertig vorgerichtete Spirale an das Spiralklötzchen angepunktet wird.

Aber was soll’s. Das muss uns den Spaß am Hobby Armbanduhren ja nicht verderben. Wenn man sich ein schönes Auto kauft, tut man das ja auch viel lieber mit den kurvigen Landstraßen in der Toscana vor Augen als mit den Staumeldungen vom Kamener Kreuz im Ohr. Der Mensch liebt Illusionen. Sie sind ein wichtiger Bestandteil unseres Daseins. Für viele von uns wird dadurch die Wirklichkeit erst erträglich. Wieso gibt es auf der Baselworld neben der Hall of Dreams, der Hall of Desires, der Hall of Fascinations, der Hall of Sensations, der Hall of Inspirations und der Hall of Emotions eigentlich keine Hall of Illusions ??? :wink:

Viele Grüße aus dem Rheinland
Heinrich
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