Chemisches Bläuen von Schrauben

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mhanke
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Beitrag von mhanke »

Zur Chemie kann ich leider auch ncihts sagen. Aber nach meinen Informationen können auch mit Hitze gebläute Schrauben einen silbernen Schlitz behalten, wenn man dazu vernickelte Schrauben verwendet, bei welchen nur der Schraubenkopf geschliffen und poliert wurde. Das wurde mir von Uhrmachern, die ihre Schrauben bläuen, erzählt. Das würde bedeuten, dass der klassische Reflex: "Silberne Schraubenschlitze - iiihhh!! billig chemisch gebläute Schrauben!" nicht immer richtig ist.

Marcus
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Ralf
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Beitrag von Ralf »

mhanke hat geschrieben:... Das würde bedeuten, dass der klassische Reflex: "Silberne Schraubenschlitze - iiihhh!! billig chemisch gebläute Schrauben!" nicht immer richtig ist.
Kannst den Konjunktiv getrost weglassen. Ist so 100%ig richtig erklärt.
Man liest sich!

Ralf
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Albert H. Potter
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Beitrag von Albert H. Potter »

Früher hat man Stahlteile nach dem Härten thermisch angelassen.

Beim Härten wird der Stahl geglüht und abgeschreckt. Dabei verändert sich die Struktur im Metall. Das Stahlteil ist jetzt glashart und damit zerbrechlich. Damit es seine Funktion wahrnehmen kann, muß dieser Härtevorgang kontrolliert zurückgenommen werden. Dazu wird das Werkstück vorsichtig erwärmt. Mit der zunehmenden Erwärmung wechselt die Farbe der Oberfläche. Bei zunächst erreicht man den wichtigen Punkt "Strohgelb". Er ist vor allem bei der Anfertigung von Werkzeugen interessant. Wenn das Werkstück diese Farbe hat, dann ist seine Härte bespielsweise geeignet für Meißelspitzen, die nicht abbrechen dürfen. Bei weiterem Erhitzen kommt der Punkt "Kornblumenblau". Hier ist eine Schraube so hart, daß nicht sofort der Kopf abbricht, wenn man sie anzieht (Zähigkeit). Eine Winkelhebelfeder federt statt zu brechen oder zu verbiegen. Dieser Temperaturpunkt ist also sehr wichtig für fast alle Stahlteile in der Uhr.
Wird das Werkstück noch weiter erwärmt, so verliert es die Farbe wieder und wird grau. Das war dann zuviel und man muß erneut härten.
Nicht jeder Stahl läßt sich Härten und Anlassen. Ein geeigneter Stahl ist als "Silberstahl" erhältlich.
Nachdem der Stahl blau angelassen ist, kann man ihn natürlich auf andere Weise bearbeiten, als vorher den weichen, ungehärteten Stahl. Ein Stahlzeiger wird beispielsweise im weichen Zustand in die grobe Form gebracht und erst nach dem Härten und Anlassen feinbearbeitet, da sonst die Gefahr besteht, das sich eine feine Struktur beim Feilen verbiegt oder beim Härten verzieht. Ist der Zeiger fertig, wird er erneut angelassen, um die schöne Kontrastfarbe Blau zu erreichen. Die Schrauben und andere Stahlteile hochwertiger Uhren wurden früher nach dem Anlassen feinbearbeitet man polierte flach (geht nicht in der Maschine), bis sich ein Spiegelglanz einstellte. In manche hochwertigen Uhren findet man daher spiegelblanke Schrauben mit einem blauen (!) Schraubenschlitz.

Das chemische Bläuen macht einfach nur blau, und verbessert die Eigenschaften des Stahls nicht.
Damit dürfte klar sein, warum chemisches Blaumachen manchmal verpönt ist.

Gruß,
Peter
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Kalli
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Beitrag von Kalli »

....schön geschrieben, aber das ist mir soweit alles bekannt. Aus diesem Grund (Härteregulierung) habe ich auch schon viele Teile angelassen. Strohgelb bei 220°, Goldgelb bei 230°, Dunkelblau 290° das beliebte Kornblumenblau bei 300° .... ist mir doch alles geläufig.
Auch mit Silberstahl habe ich schon viel gearbeitet.
Aber, das war ja eigentlich auch nicht die Frage.

Übrigens - Das beliebte Fe-C-Diagramm habe ich inzwischen in vier Schulungen durchgekaut. (Metallfachschule, Lehre, 1. Meisterkurs, 2. Meisterkurs)

Übrigens finde ich diesen silbernen Schraubenschlitz gar nicht so unattraktiv, egal ob chemisch oder thermisch gebläut.
Si vis pacem parabellum
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tricompax
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Beitrag von tricompax »

inversator hat geschrieben:Zum thermischen bläuen bettet der Uhrmacher das polierte und entfettete Stahlteil üblicherweise in Messingspäne. Bei Schrauben tut es auch ein durchbohrtes Messingblech auf dem man eine oder viele Schrauben gleichzeitig bläut. Das Blech, oder die Pfanne mit den Spänen wird dann über der Flamme erhitzt.
Ist die gewünschte Farbe erreicht wird das Stahlteil in Öl abgekühlt.
Gruß
Holger
Hallo Holger,

welchen Zweck erfüllen denn die Messingspäne?

Viele Grüße,
Matthias
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frederic
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Beitrag von frederic »

tricompax hat geschrieben: Hallo Holger,

welchen Zweck erfüllen denn die Messingspäne?

Viele Grüße,
Matthias
Ich darf antworten : zur gleichmässigen Hitzeverteilung. da es für die Farbe auf wenige Grad plus / minus ankommt ist ein Puffer wichtig.


gruss
frederic
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Albert H. Potter
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Beitrag von Albert H. Potter »

Die gleichmäßige Hitzeverteilung ist ein großer Knackpunkt, denn das Werkstück kann ja verschieden dicke Stellen haben. Im Extremfall tut sich an der dicksten Stelle gar nichts, während eine dünne Spitze am anderen Ende schon glüht.
Für die Gleichmäßigkeit gibt es viele Tricks. Das schlechteste Verfahren ist ein Werkstück mit der Zange zu greifen und in eine Flamme zu halten. Schon die unterschiedlichen Temperaturbereiche innerhalb einer Flamme sind nur schwer in den Griff zu bekommen. Ein weitere Effekt ist die Wärmeableitung durch die berührende Zange (was man aber auch geschickt ausnutzen kann).
George Daniels beschreibt in seinem Buch "Watchmaking" verschiedene Methoden der Temperatursteuerung. Erstülpt beispielsweise eine feuerfeste Glasglocke über die Werkstücke, um die Hitze gleichmäßig zu halten. Er hat auch ein federndes Blech, welches es nutzt, um Wellen und andere runde Teile darauf zu rollen, damit sie gleichmäßig von allen Seiten erhitzt werden.
Uhrenhersteller verwenden heute gerne temperaturgesteuerte Anlaßöfen. Bei Nomos bekommen Besucher gerne eine Vorführung. Aber auch trotz technischem Aufwand klappt es nicht immer auf Anhieb.
In "technisch aufgeschlossenen" Werkstätten hat eigentlich jeder Uhrmacher sein Rezept. Es wird zum Beispiel gerne der Heißluftfön eingesetzt, die Luft wird durch ein feuerfestes Gewebe geblasen, wodurch sie sich gleichmäßig verteilt. Ein tolles Mittel sind leistungsfähige Ceranfelder, die dem Werkstück erstaunlich gleichmäßig Energie zuführen, wobei man meist erst ab einer bestimmten Stufe in den gewünschten Temperaturbereich kommt. Auf den richtigen Zeitpunkt muß man aber schon achten.
Die Sache mit den Messingspänen ist insbesondere für Azubis eine schöne Erfahrung. Da wird ein Großuhrzeiger in Stahl gesägt und muß dann gleichmäßig angelassen werden. Dann kommt der Trick mit den Messingspänen, in welche der Zeiger gebettet werden soll, so daß nur eine Spitze zur Kontrolle der Farbe herausschaut. Wo kommen die Sägespäne her ? Richtig, die Kühlmittelwanne der Bandsäge ist voll davon. Und das Kühlmittel/Öl wird weder durch waschen noch durch "rösten" richtig aus den Spänen verschwinden. Ergebnis ist regelmäßig ein Leopardenzeiger. So entsteht der Erfahrungsschatz angehender Uhrmacher......

Gruß,
Peter
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tricompax
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Beitrag von tricompax »

Hallo Frederic, hallo Peter,

vielen Dank für eure Antworten! Und das mit dem Leopardenzeiger werde ich mir merken... :lol:

Viele Grüße,
Matthias
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