Was sagen die Fachleute zu diesen Gangwerten?

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mhanke
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Re: Was sagen die Fachleute zu diesen Gangwerten?

Beitrag von mhanke »

cool runnings hat geschrieben: Bild
Wäre so was der Omega nicht angemessener?

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GSG
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Re: Was sagen die Fachleute zu diesen Gangwerten?

Beitrag von GSG »

tourbillon69 hat geschrieben: Ich bin überzeugt, dass in Schaffhausen auch heute solche Leute sitzen die dieses Werk entsprechend zur Höchstleistung trimmen können. Die Frage ist dabei nur: Ist das von der Geschäftsführung gewollt hier bei jeder einzelnen Uhr noch ein paar Stunden mehr Arbeit reinzustecken und damit den Gewinn zu reduzieren? Angenommen wir würden 2 Stunden mehr Zeit investieren um unsere Werke besser gehen zu lassen als die der Mitbewerber, dann kostet uns das in Summe 400h Arbeit pro Jahr. Wieviel Uhren produziert IWC aktuell? 80.000 oder gar mehr?

Um Hersteller bei denen es nur noch darum geht den Gewinn zu maximieren, würde ich als Konsument einen großen Bogen machen. Obwohl man weiß, dass es besser geht, lässt man es, es könnte ja den Gewinn schmälern, hallo - es geht hier um Uhren die einige tausend Euro kosten.

Besser als die Mitbewerber zu sein, durch Qualität, Leistung und angemessenes Preis-Leistungsverhältnis zu überzeugen, das ist der Anspruch der immer noch für einige Hersteller in der Uhrenbranche gilt. Sie versuchen das Machbare auch umzusetzen.

Ein gutes Beispiel dafür sind die Uhren mit dem neuen Werk, Tudor MT5602, der Rolex SA. Hier stimmt das Preis-Leistungsverhältnis noch einigermaßen, die Uhren laufen exakt und Geld wird damit auch noch verdient.

GSG
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hermann
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Re: Was sagen die Fachleute zu diesen Gangwerten?

Beitrag von hermann »

tourbillon69 hat geschrieben: Das spricht eigentlich schon gegen diesen absurden Gedanken der geplanten Obsoleszenz.

beste Grüße
Richard
Da dieser Verdacht von mir in den Raum gestellt wurde, möchte ich da doch näher darauf eingehen.
Ich hoffe doch das der Gedanke des geplanten Verschleißes hier angewendet worden ist. Warum sonst sollten die hervorragend funktionierenden Mechanismen der Vorgänger Werke oder die Konstruktionen anderer Hersteller einfach ignoriert worden sein? Dummheit und mangelndes technisches Verständnis schließe ich da wohl aus.

Hier mal die Automatikteile aus dem 2824er:

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Und hier aus einem 2892er von Omega (1120) adaptierten Werk:

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Beim 2824er zähle ich ein Stiftgelagertes Rad, beim 2892er sind es in diesem Fall vier.
Räder insgesamt beim 2824er bis zum Sperrrad vier, beim 2892er sind es sechs.

Da Stiftgelagerte Räder mehr Reibung/Abnutzung erzeugen als Zapfengelagerte, und mehr Teile mehr Defekte bedeuten können, und ich einen technischen Rückschritt einfach nicht glauben mag, bleibt in mir eben der Verdacht der geplanten Obsoleszenz bestehen.

Das waren meine Gedanken zu diesem Thema.
Ich lasse mich aber gerne auch vom Gegenteil überzeugen. Einfach weil ich stolz bin, an solchen Hochleistungsmaschinen mit einer derart langen Tradition arbeiten zu dürfen!

Gruß hermann
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Richard Habring
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Re: Was sagen die Fachleute zu diesen Gangwerten?

Beitrag von Richard Habring »

Um Hersteller bei denen es nur noch darum geht den Gewinn zu maximieren, würde ich als Konsument einen großen Bogen machen. Obwohl man weiß, dass es besser geht, lässt man es, es könnte ja den Gewinn schmälern, hallo - es geht hier um Uhren die einige tausend Euro kosten.
Deine Argumentation ist nachvollziehbar, führt aber in letzter Instanz dazu, dass Du gar nix mehr kaufen kannst/darfst, weder Uhr noch Auto noch sonst was. In Österreich ist es Unternehmen sogar vom Finanzamt vorgeschrieben Gewinne zu machen. Jede erste Vorschreibung der Steuern für Selbständige im neuen Jahr sieht eine 10% Erhöhung vor, so stellt sich unser Staat wirtschaftliches Wachstum vor. Unser Amtsdeutsch kennt u.a. den Begriff der "Liebhaberei" für Dinge die keine Gewinne abwerfen.
Auch gegen die (vernünftige) Maximierung von Gewinnen ist per se nichts zu sagen sofern die Gewinne im Unternehmen bleiben und in allfällig schlechten Zeiten zum Tragen kommen. Oder dafür verwendet werden etwas neues zu entwickeln. Was ich genauso verurteile wie Du ist wenn Gewinne abgeschöpft werden und in Krisen dann die öffentliche Hand zur Kasse gebeten wird. Fakt ist aber auch, dass jedes herstellende Unternehmen und seine Betreiber von was leben muss, auch wir. Es kommt also auf ein Mittelmaß an.

Zum technischen Punkt ist zu sagen, dass es ja nicht um eine schlechtes Produkt geht sondern vielmehr um eines das "gut genug" ist. "Gut genug" einen definierten Qualitätsstandard zu erfüllen. Besser geht fast immer aber es ist nicht nur wirtschaftlich zu hinterfragen. So sehr die Gangwerte der beschriebenen Uhr den Besitzer in diesem Fall stören gibt es wahrscheinlich eine Mehrzahl anderer die kein Problem damit haben. Ein "guter" Hersteller wäre in solch einem Fall für mich einer der mit solch einer Reklamation clever und gut umgeht und dem Kunden das Ding kostenlos auf eine höhere - den Kunden zufriedenstellende - Ganggenauigkeit bringt. Als wie üblich hinkender Vergleich sei zu der Sache noch erwähnt, dass Automotoren ja auch nicht immer die angegebene Leistung erzielen.

@Hermann: Alles richtig was Du schreibst! Der "technische Rückschritt" den Du hier attestierst hat aber einen anderen Grund. Nämlich gegenüber dem 2824 25% der Werkhöhe einzusparen (4,8 vs. 3,6mm). Dies erfolgte beim 2892 durch die Integration des Automatikgetriebes in die Ebene des Räderwerks (nicht Sandwich-mäßig drüber wie beim 2824). Der Nachteil jener Integration ist die Notwendigkeit für ein paar Einschalteräder zur Überbrückung der größeren Distanzen. Zur Stiftlagerung ist anzumerken, dass Verschleiß üblicherweise an den Stiften selbst passiert. Jene sind relativ leicht und kostengünstig auszutauschen. Letzteres unterscheidet im Servicefall dann sehr gute Uhrmacher wie Dich von jenen die "gut genug" sind. Letztere sagen einfach: "Der Stift ist kaputt, den krieg ich nicht, da kann man nix mehr machen" während Du Dich an die Drehbank setzt, ein Stück Messing oder Stahl einspannst, den Stift rausdrehst und so Deinem Kunden einen echten Mehrwert bringst.

beste Grüße
Richard
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hermann
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Re: Was sagen die Fachleute zu diesen Gangwerten?

Beitrag von hermann »

tourbillon69 hat geschrieben: Letzteres unterscheidet im Servicefall dann sehr gute Uhrmacher wie Dich von jenen die "gut genug" sind. .

beste Grüße
Richard
Herzliches Dankeschön für die Blumen!!! :yahoo:

Gruß hermann
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mike_votec
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Re: Was sagen die Fachleute zu diesen Gangwerten?

Beitrag von mike_votec »

Herzlichen Dank an alle für diese tolle und sachlich lehrreiche Diskussion, Chapeau! :wink:
Grüße,

Michael
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mezdis
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Re: Was sagen die Fachleute zu diesen Gangwerten?

Beitrag von mezdis »

Ja, da schliesse ich mich gerne an - danke an Hermann und Richard! Wieder viel gelernt in diesem Thread :thumbsup:

Ich möchte nochmals gerne zurückkommen auf die Uhr, um die es hier geht - die IWC Ingenieur 3239. Soweit ich mich erinnere, hatte ich bereits früher erwähnt, dass speziell bei dieser Uhr der Wert des Uhrwerks am Gesamtherstellungswert der Uhr relativ wenig ausmacht. Dies hat damit zu tun, dass das Gehäuse, das Metallband, Zifferblatt und Zeiger sehr aufwändig gestaltet sind. Und natürlich auch damit, dass ein relativ günstiges Werk verwendet wurde. Für andere Uhren ist dieses Verhältnis sicher anders und das ist ja auch gut so! Nicht jeder Kunde legt auf die gleichen Eigenschaften wert.
Gerhard hat das in einem früheren Post ja auch treffend geschrieben, dass man diese Uhr als Gesamtpaket sehen muss und nicht auf das Werk reduzieren sollte. Eine Uhr nicht auf ihr Werk alleine zu reduzieren hat übrigens auch Hodinkee in diesem (aus meiner Sicht) ziemlich interessanten Post geraten. Und zwar gleich an erster Stelle:

https://www.hodinkee.com/articles/twelv ... avoid-them


In diesem Sinne trage auch ich heute meine 3239 mit viel Freude :)
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Gruss mezdis
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Don Tomaso
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Re: Was sagen die Fachleute zu diesen Gangwerten?

Beitrag von Don Tomaso »

Nochmals danke, diesmal an Richard und Hermann, für die interessante technische Diskussion. Man sieht, das zwei Fachleute in der Einschätzung eines Sachverhalts verschiedener Meinung sein können, ohne dass der gegenseitige Respekt darunter leidet. Ein schönes Kontrastprogramm zu einer weit verbreiteten Duskussions"kultur", die die andere Meinung diffamiert und die leider viel zu oft anzutreffen ist.
Gruss

Thomas

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hermann
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Re: Was sagen die Fachleute zu diesen Gangwerten?

Beitrag von hermann »

Don Tomaso hat geschrieben:Nochmals danke, diesmal an Richard und Hermann, für die interessante technische Diskussion. Man sieht, das zwei Fachleute in der Einschätzung eines Sachverhalts verschiedener Meinung sein können, ohne dass der gegenseitige Respekt darunter leidet. Ein schönes Kontrastprogramm zu einer weit verbreiteten Duskussions"kultur", die die andere Meinung diffamiert und die leider viel zu oft anzutreffen ist.
Der wohnt nur ein paar Kilometer von mir entfernt - ich werde mich hüten respektlos zu sein. Er ist auch größer als ich..... :mrgreen:

Es ist wie in dieser Diskussion gut zu sehen, oft nur ein technisches Detail das man nicht wusste, das Einem einen neuen Blickwinkel eröffnet, so das man seine Meinung umgestalten kann. Man ist nie zu alt Neues zu lernen!

Gruß hermann
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nasowas
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Re: Was sagen die Fachleute zu diesen Gangwerten?

Beitrag von nasowas »

Hast ja trotzdem irgendwie auch recht, Hermann.

Wenn ich mir anschaue in was für Gehäuse das 2892 teilweise eingebaut wird - da sollte es auf 1.2mm Werkhöhe eigentlich nicht ankommen. Und dann sollte die robustere und servicefreundlichere Variante zum Einsatz kommen. Das 2824 gibt's schließlich auch in TOP. (Kennt jemand außer Tudor eine Marke, die das verbaut?).

Benjamin
Herr Itage
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Re: Was sagen die Fachleute zu diesen Gangwerten?

Beitrag von Herr Itage »

Sinn verbaut die Werke in TOP-Ausführung
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schlumpf
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Re: Was sagen die Fachleute zu diesen Gangwerten?

Beitrag von schlumpf »

Der Händler hat jetzt diese Werte gemessen:

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:shock:

Also auch mit viel Wohlwollen ist das einer nagelneuen Uhr mit Anspruch der IWC nicht angemessen, ich erwarte da einfach mehr. Die Amplitude mühlt sich mal gerade auf 200°. Vielleicht nicht bei Vollaufzug gemessen, muss morgen mal nachfragen. Die Uhr geht jetzt wohl zurück nach Schaffhausen. Ärgerlich ist das schon.
Schöne Uhrengrüße, Gerhard
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Re: Was sagen die Fachleute zu diesen Gangwerten?

Beitrag von Thomas H. Ernst »

Da kannste gleich ne billige Seiko kaufen. 😬
Grüsse Thomas
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mezdis
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Re: Was sagen die Fachleute zu diesen Gangwerten?

Beitrag von mezdis »

Ja, diese Amplituden sind definitiv zu tief und auch ausserhalb der Toleranz für dieses Werk. Das wäre nicht nur bei einer nagelneuen Uhr unerfreulich, sondern auch bei einer älteren.
Falls die Werte mit Vollaufzug gemessen wurden (was eigentlich jeder Uhrmacher tun sollte), so sieht es tatsächlich leider nicht so gut aus... :?
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Gruss mezdis
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schlumpf
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Re: Was sagen die Fachleute zu diesen Gangwerten?

Beitrag von schlumpf »

Die Uhr ist zurück aus Schaffhausen, der Konzi hat jetzt diese Werte gemessen:

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Maximalabweichung nach Besuch beim Hersteller 10 Sekunden, mittlere tägliche Gangabweichung 2,7 Sekunden. Da waren die Werke der IWC früher - auch ohne zusätzliches Nachregulieren - ab Werk schon deutlich besser reguliert. Vielleicht stößt das Werk jetzt an seine Grenzen - und man gibt sich nicht mehr so sehr viel Mühe. Etwas weiter vorne schrieb jemand, dass das Augenmerk der IWC inzwischen doch zu einem großen Teil auf Gehäuse usw. liege, weniger beim Werk.

Ich nehme es jetzt mal so hin und erfreue mich an der Tatsache, dass mein örtlicher Uhrmacher meine alte GST Chrono exzellent einreguliert hat, da kann die Laureus nur von träumen.

Mal sehen, vielleicht bekomme ich es durch geschicktes nächtliches Ablegen hin, dass ich die Gangwerte im Zaum halten kann. Ansonsten: nach Abstineztagen wieder eine wirklich schöne Uhr am Handgelenk.
Schöne Uhrengrüße, Gerhard
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