Danke für den Hut! Ich fühle mich dadurch gelobt und motiviert. Damit bin ich bei der Frage. An Lob fehlt's bei uns nicht aber das muss natürlich auch erst mal ein wenig erarbeitet werden. Da hat die nachrückende Generation ein bisschen andere Vorstellungen wenn die in der Schule schon gesagt kriegen: "Die Welt wartet nur auf Euch!" Da fehlt dann auch schnell mal die Motivation wenn ein leidlich funktionierender Teil nicht gleich mit überschwenglicher Begeisterung belohnt wird.archimagirus hat geschrieben: ↑11 Jul 2017, 11:11 Eine Frage an Richard persönlich
Wie sieht es bei Euch aus? Was habt Ihr für Erfahrungen mit jungen Uhrmachern? Wo liegen die Defizite? Und wie sehen diese jungen Menschen Ihre Karriere/Entwicklung?
Unser Kernteam (3 bis 5 Mann) in den vergangenen Jahren setzt(e) sich zum überwiegenden Teil (90%?) aus EU-Bürgern zusammen. Österreicher sind da klar in der Minderzahl. Warum: Die institutionelle Ausbildung in A ist um den Großraum Wien konzentriert. Die Absolventen kommen in der Regel auch aus diesem Großraum und wollen diesen nach Lehre/Schule nicht verlassen. Ergo kriegen die Jobs bei uns dann - mangels österreichischer Interessenten - Deutsche, Franzosen, Spanier, Finnen. Ergänzt wird dieses Kernteam durch temporäre Volontäre/Praktikanten aus den erwähnten Ländern, letzthin hatten wir einen Australier. Diese beziehen unseren ständigen Praktikumsplatz, zumeist begleitend zur Ausbildung oder danach. Diese Volontäre sind zumeist nicht im Produktionsprozess eingebunden sondern arbeiten je nach Interesselage z.B. an der Restauration einer alten Uhr etc.
Wir hatten vor ein paar Jahren damit begonnen selbst auszubilden. Fazit: #1 wurde gleich nach der Abschlussprüfung von seiner Freundin zurück in die Stadt zitiert
#2 hat am Ende des 1. Lehrjahres hingeschmissen nachdem wir ihm in Folge einiger ernsthafter Probleme nahegelegt hatten in die Fachschule zu wechseln um dort seine Ausbildung fortzusetzen. #3 wollte zur Mitte der Lehrzeit über das Folgegehalt nach der Übernahme verhandeln was wir ablehnten weil wir erst den Lehrabschluss am Tisch haben wollten. Ergebnis: Er hat sich noch während der Lehre einen Job gesucht wo er mehr verdienen kann. Trotzdem würden wie sofort wieder einen Lehrling aufnehmen wenn sich eine Gelegenheit ergibt. Wir suchen aktuell aber nicht aktiv, aus mehreren Gründen: die bekannte Problematik warum immer mehr Lehrstellen nicht mehr besetzt werden gehört genauso dazu wie der Umstand, dass aufgrund des Drängens der Industrie (die Marken-Niederlassungen in A) und darauf erfolgter Werbemaßnahmen der Schule die Klassen dort ziemlich voll sind. Klingt gut ist aber mit Vorsicht zu genießen weil dort momentan weit mehr Uhrmacher "produziert" werden als A braucht. Fazit: Die müssen dann - wenn sie im Job bleiben wollen - ins Ausland, wenn sie nicht zu uns in den Süden kommen.
Ein Kollege hat letztes Jahr anlässlich eines Vortrags zu der Ausbildungsproblematik eine gaaanz einfache Lösung parat: "Ihr müsst halt mehr zahlen!" Guter Punkt! Nachdem wir Österreichs einziger herstellender Betrieb sind müssen unsere Mitarbeiter nach dem Metaller-Kollektivvertrag ("KV=Tarif") entlohnt werden, der liegt von Haus aus rund 15% über dem in der Branche sonst üblichen Handels-KV. Das sind für Berufseinsteiger dann gleich mal etwas über 2K brutto 14x im Jahr. Berufseinsteiger ex Schule ohne verpflichtendes Praktikum! Noch besser wird's wenn diese jungen Kollegen dann auch gleich nach der Schul-(=Lehr)-Abschlussprüfung zum Meister antreten. Das verpflichtet uns zwar nicht zu höherer Entlohnung setzt aber natürlich die Erwartungshaltung noch etwas nach oben. Insofern unterstütze ich Christoph in seiner Einschätzung, dass die Zertifizierungen durchaus Qualitativ zu begrüßen sind. In A war es halt in der Vergangenheit so, dass die Verantwortlichen das sehr österreichisch handhabten: "Du darfst, Du darfst nicht und Du darfst es niemandem erzählen".
Wir sind nicht zertifiziert, die Kosten sind nicht das Thema obgleich die im ländlichen Bereich schwer einzuspielen sind. Allein in unserem Bezirk gab es in den 1970ern 5 Händler die Omega führten. Da sind noch eine Menge Uhren rum. Wenn aber der Altbauer (der sich einmal im Leben eine gescheite Uhr gekauft hat) vom Berg kommt und wir ihm das Original-Omega-Krokoband für €300,-- verkaufen sollen dann kommt er nicht mehr. Dann können wir uns auch sparen ihm seine Uhr zu reparieren. Wir haben somit komplett aufgehört zu reparieren/servicen. Wo wir ggf. dann wieder aktiv werden ist bei älteren Uhren wo die Hersteller selbst abwinken. Da machen wir dann halt die Teile die es nicht mehr gibt. Das ist dann auch für unsere Mitarbeiter wieder interessant. Was mich am meisten fasziniert ist, wenn ich in der Vergangenheit bei einer meiner ehemaligen Arbeitgeber um einen bestimmten Teil gefragt hatte und man mir beschied, ich könne das gar nicht weil ich das erst im Kurs lernen müsse. In beiden Fällen war es mal so, dass ich die Kurse selbst konzipierte, leitete und teilweise sogar die entsprechenden Uhren entwickelt habe. Als ich meinem (jungen) Gesprächspartner am anderen Ende der Leitung verklickerte, dass er meinen Namen auf den maßgeblichen Zeichnungen des Werks findet sagte er: "Aber da hat sich seit den 90er Jahren soooo viel verändert, das können Sie ja gar nicht wissen!" Hab' ich aber Verständnis für, Ordnung muss sein
Noch besser hatte es ein lieber Freund und Kollege in USA der in New York seit 30 Jahren so ziemlich alles repariert was Rang und Namen hat. Offiziell unterstützt von vielen großen Marken, u.a. war er seinerzeit einer meiner häufigsten Gäste bei ALS. Er bezog lange Jahre RLX-Teile bis die auf seine fehlende Zertifizierung hinwiesen. Also nahm er $40K in die Hand und kaufte sich die empfohlenen Geräte und Maschinen. Als er die hatte sagte man ihm, dass er dann bei Gelegenheit einen Termin kriegen würden in Dallas/TX zur Schulung. Thema: ETA 7750 in Tudor-Chronos. Er ist wohlgemerkt Freelancer, wird für seine Arbeitszeit bezahlt und jeder Tag den er zur Schulung ist hat er Verdienstentgang. Ergebnis: Er hat die Geräte wieder verkauft und kümmert sich halt um die Uhren der anderen Marken. Eine einfache "Prüfung" hätte alles regeln können.
Was uns auffällt ist, dass die junge Generation der nachrückenden sehr wohl die Chancen des Berufs sehen sich damit aber schwer tun eine wirkliche Beziehung mit dem Produkt aufzubauen. Damit meine ich sie wollen zwar Uhren bauen tragen aber selbst keine und im Grunde ist es ihnen oft relativ egal wie qualitativ hochwertig ihre abgelieferte Uhr ist. Sie sehen das Produkt als Vehikel das sie Richtung Berühmtheit und Wohlstand transportiert. Das ist ein bisschen wie ein Veganer der sich anschickt die besten Wiener Schnitzel machen zu wollen. Es gibt aber natürlich auch unter den Jungen Ausnahme-Talente und Charaktere. Die sind schwer zu finden aber nach wie vor da. Die Industrie hätte die natürlich auch gerne, deswegen sollen die Schulen mehr ausbilden damit die Industrie sich die Besten aussuchen kann. Es gab vor Jahren mal eine Podiumsdiskussion in Wien zum Thema Uhrmacherausbildung. Beim informellen Rumfragen sagte die Dame der SG Wien auf die Frage wie viele Lehrlinge die hätten: "Keinen! Wir bilden unsere Leute in Glashütte aus!" (also mit großzügiger staatlicher Stütze ). Man liest, dass die Lehrlinge dort aus dem ganzen Bundesgebiet kämen, was für die Marken natürlich super ist weil die zukünftigen Mitarbeiter damit schon gleich mal beweisen, dass sie örtlich ungebunden sind. Unter solchen Umständen schmeißt man auch nicht so leicht hin und ist leichter "formbar".
Ich hatte das Glück mit Persönlichkeiten wie Blümlein, Klaus, Belmont etc. zu arbeiten und von ihnen zu lernen, nachdem ich Schule und eine quasi Lehre in Reparatur/Restauration von antiken Uhren machte. Dafür bin ich auch anfänglich in die CH, aber auch deswegen weil es Anfang der 90er in A gar keine Jobs in der Uhrmacherei gab. Wenn ich denke, dass heute ein Manager in der SG darüber entscheidet wo ein aus der Lehre Übernommener dann seinen "garantierten" Job beziehen darf ("Chef, welche Sprache muss ich dafür lernen? ungarisch, russisch, estnisch?") fühle ich mich unwohl.
Richard