Silizium

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MCG
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Re: Silizium

Beitrag von MCG »

Heinrich hat geschrieben: 28 Okt 2018, 19:07
Red hot chili hat geschrieben: 25 Okt 2018, 21:45 Man kann natürlich alles Neue schlechtreden, zumal dann, wenn man selber nicht über die nötige Technologie und das nötige Know-how verfügt, oder aber sich da dran machen dieses zu erwerben, was ich persönlich für wesentlich schlauer halte.

Also als selbstständiger Uhrmacher würde ich gar nicht erst versuchen, es den Großen der Branche gleich zu tun und den gesamten Fertigungsprozess auf die neuesten Technologien umzustellen. Gerade in diesem Marktsegment erwarten die Kunden doch in der Regel, dass eher traditionelle Fertigungsmethoden wenigsten noch ein wenig durchblitzen.

Viele Grüße aus dem Rheinland,
Heinrich

Das stimmt zwar!
Aber wenn ich sehe welche Vorteile Silizium zb bei der Genauigkeit hat, fängt sich das an zu relativieren...
LG aus Mostindien - Markus
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mhanke
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Re: Silizium

Beitrag von mhanke »

Auch ohne Silizium und Co. hat die moderne Serienproduktion von mechanischen Uhren kaum noch etwas mit der romantisch verklärten, traditionellen Uhrmacherei zu tun. Ich halte es für legitim, neue Technologien vor allem dort einzusetzen, wo sie dem Kunden zugutekommen. Die Vorteile von Silizium u.ä. hinsichtlich Reibung, Fertigungstoleranzen und Masseträgheit sind bekannt und tragen zur Reduzierung des Wartungsaufwandes bei. Hinsichtlich der Spiralen geht es in erster Linie um Magnetismus und Isochronismus, zumal man bei der Formgebung nicht an einen einzigen Querschnitt und Durchmesser gebunden ist.

Schon heute ist die Reparierbarkeit mechanischer Uhren eher ein Mythos. IN den wenigsten Fällen ist es wirtschaftlich, fehlende Teile wirklich nachzubauen, und viele Alteisen überleben nur, wenn es entsprechendes Material zum Ausschlachten gibt.

Auf der anderen Seite sinken die Kosten für die Produktion "neuer" Teile in dem Maße, wie deren Qualität steigt. Vor wenigen Jahren hatte unser Rainer noch keine guten Erfahrungen mit einem Gehäuse aus dem 3D-Drucker gemacht. Heute ist man da sehr viel weiter. Ich nehme mal an, dass man in einer Dekade die meisten Teile einer mechanischen Uhr, auch jene aus Silizium, durchaus reproduzieren kann. Das Hauptproblem werden viel eher die exakten Pläne sein, um die Drucker zu steuern.

Marcus
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Thomas H. Ernst
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Re: Silizium

Beitrag von Thomas H. Ernst »

mhanke hat geschrieben: 29 Okt 2018, 15:09 Auch ohne Silizium und Co. hat die moderne Serienproduktion von mechanischen Uhren kaum noch etwas mit der romantisch verklärten, traditionellen Uhrmacherei zu tun. Ich halte es für legitim, neue Technologien vor allem dort einzusetzen, wo sie dem Kunden zugutekommen. Die Vorteile von Silizium u.ä. hinsichtlich Reibung, Fertigungstoleranzen und Masseträgheit sind bekannt und tragen zur Reduzierung des Wartungsaufwandes bei. Hinsichtlich der Spiralen geht es in erster Linie um Magnetismus und Isochronismus, zumal man bei der Formgebung nicht an einen einzigen Querschnitt und Durchmesser gebunden ist.
Sehe ich genauso.

Werkstoffe haben sich gerade im Hemmungsbereich immer verändert und da wurde früher schon gemeckert als Unruhreifen nicht mehr aus Bimetall und Spiralen aus speziellen Legierungen gemacht wurden. Die Zahl der Uhrmacher, die Teile für Armbanduhren nachfertigen, dürfte ohnehin sehr überschaubar sein.

Mir sind die Vorteile wie geringer Verschleiss und dauerhaft ausgezeichnete Gangwerte da schon deutlich lieber als die Aussicht dass das jeder Dorfschmied reparieren kann.
Grüsse Thomas
Euer Board-Admin
Richard Habring
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Re: Silizium

Beitrag von Richard Habring »

@redhotchilli
Vorschlag zur Güte: wir können hier gerne eine Duskussion starten nach dem Motto "Neues schlechtreden/Evolutionsverweigerung vs. Naivität/blinde Technologiegläubigkeit". Das macht aber so lange keinen Sinn solange wir dabei die Politik der Protagonisten (die Frage warum die das machen?) ausklammern. Wir können aber auch einfach mal 20 Jahre abwarten und dann darüber befinden wie's ausgegangen ist. Dann sollte ich die verdiente Rente geniessen (wenn ich nicht vorher schon hinschneisse) und es wird mir herrlich wurscht sein welche Techologie gerade von der Industrie propagiert wird und ob es dann noch so Idioten wie uns geben wird, die viel Herzblut und menschliche Arbeitskraft in ihre Produkte stecken um gegen eine Industrie anzukämpfen die nix anderes im Sinn hat als mittels Verdrängung Marktanteile zu generieren und dabei über Leichen geht.

Was mich in dem Zusammenhang aber schon noch interessieren würde ist, wie Deiner Meinung nach eine 4-Mann-Bude sich diesenTechnologie aneignen soll? Mal abgesehen davon, dass diese das Produkt nicht besser sondern nur noch teurer und somit die Positionierung am Markt noch schwieriger macht?

@Marcus: vergiss das bitte! Solange diese Technologie ("drucken") nicht mal das Gehäuse einer Modellbahnlok in vernünftiger Qualität hervorbringt sind wir noch Welten entfernt. Und auch dann werden Herstellkosten noch eine grosse Rolle spielen, heisst im Klartext: Warum mehr Geld für einen mit modernen Materialien/Methoden hergestellten Teil ausgeben wenn der nicht erheblich besser ist als ein konventioneller? Und mit "erheblich" ist gemeint, das der Konsument einen Unterschied in der Leistung merkt. Du kaufst Dir auch kein neues Auto um den doppelten Preis wenn es "nur" das Gleiche kann wie Dein altes, aber dafür modern hergestellt ist.
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Heinz-Jürgen
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Re: Silizium

Beitrag von Heinz-Jürgen »

Richard, ich wüsste auf Anhieb keine einzige Branche, in der es in den letzten Jahrzehnten nicht zu massiver Verdrängung gekommen ist. Sei es über den Technologieweg, sei es über Wettbewerbsverdrängung über den Preis, oder als Kombination. „Fair“ geht es dabei nie zu. Was aber bei dieser Verdrängung immer übrig bleibt, sind kleine Nischen, die von cleveren Unternehmern in jeder Branche besetzt werden, und in denen dann auch gute Geschäfte gemacht werden können.

Nur die, die begreifen, dass gar kein Kampf „David gegen Goliath“ stattfinden muss, werden weiter und auskömmlich bestehen.
Grüße aus dem Pott

Heinz-Jürgen

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mhanke
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Re: Silizium

Beitrag von mhanke »

tourbillon69 hat geschrieben: 30 Okt 2018, 23:06
@Marcus: vergiss das bitte! Solange diese Technologie ("drucken") nicht mal das Gehäuse einer Modellbahnlok in vernünftiger Qualität hervorbringt sind wir noch Welten entfernt. Und auch dann werden Herstellkosten noch eine grosse Rolle spielen, heisst im Klartext: Warum mehr Geld für einen mit modernen Materialien/Methoden hergestellten Teil ausgeben wenn der nicht erheblich besser ist als ein konventioneller? Und mit "erheblich" ist gemeint, das der Konsument einen Unterschied in der Leistung merkt. Du kaufst Dir auch kein neues Auto um den doppelten Preis wenn es "nur" das Gleiche kann wie Dein altes, aber dafür modern hergestellt ist.
Richard, ich sprach beim Drucken nicht vom heutigen Stand, sondern von einer Dekade. Reden wir in zehn Jahren nochmal drüber, bis dahin bleibe ich bei meiner Ansicht, dass Uhrenteile, auch Hemmungsteile, dann reproduzierbar sein werden. Ob man das ohne die originalen Pläne bzw. Rechnerdateien machen kann, steht auf einem ganz anderen Blatt.

Das "Abwarten" gilt natürlich auch für den anderen Teil: Erst, wenn man wirklich die Serviceerfahrungen vom Einsatz neuer Materialien auswerten kann, wird klar, ob es was gebracht hat oder nicht. Nur in seltenen Fällen wird es schnell ersichtlich sein, so wie bei der Daniels-Hemmung, die zwar den Schmierungsbedarf der hemmung reduziert, aber um den Preis komplexeren Aufbaus, höherer bewegter Massen und damit verbundenem Energieverlust. Es ist kein Wunder, dass mittlerweile die Co-axialhemmung aus Silizium et al. gemacht wird und damit ihre Nachteile kompensiert. Somit ist sie da, wo auch eine Schweizer Ankerhemmung aus demselben Material ist. Zumindest bleibt ein Alleinstellungsmerkmal. Aber grundsätzlich werden wir erst in zehn Jahren oder so sehen, ob Uhren mit Siliziumhemmung tatsächlich weniger Wartungsaufwand bei gleicher Performance haben. Das ist dann ein echter Vorteil für den Kunden. Höhere Ganggenauigkeit scheint heutzutage bei den Käufern mechanischer Uhren ohnehin keine besondere Rolle zu spielen.

Marcus
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Richard Habring
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Re: Silizium

Beitrag von Richard Habring »

Völlig richtig Heinz-Jürgen!

Umso mehr verwundert, dass hier so mancher meint alle müssen mit dem Strom schwimmen!
Es gibt genug Beispiele von Technologien in der Uhrenbranche die sich nicht durchgesetzt haben. Ob man an den einen oder anderen Zug aufspringt sollte jedem selbst überlassen sein. Schlaue Ratschläge zu unterbreiten deren Umsetzung an einfachsten Dingen scheitern, werden den Beruf Uhrmacher auch nicht mehr retten. Wir werden noch sehen wieviel "Leben" in mechanischen Uhren steckt die vollkommen automatisiert hergestellt werden.

In der Sache möchte ich noch hinzufügen, dass es sich bei den Protagonisten von Silizium um eine Lobby handelt die versucht nicht mehr benötigte Kapazitäten der Halbleiterfertigung an den Mann zu bringen. Wer da zugreifen möchte, bittesehr! Was mir hier als Fortschrittsverweigerung ausgelegt wird ist nichts anderes als das Bestreben Beweise für eine wie auch immer geartete Verbesserung zu erhalten, nicht nur Vermutungen die auf blumigen Marketingergüssen basieren. Diese Beweise zu erarbeiten dauert in der Uhrmacherei erfahrungsgemäss 10 Jahre und mehr. Und diese sind im Vergleich zur jahrhundertelangen Geschichte der Uhrmacherei auch nur ein Furz im Wind.

@Marcus: ich bin völlig bei Dir und setze gerne eine Flasche guten alten Stoffs nach Deiner Wahl, dass Du irrst.
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Richard Habring
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Re: Silizium

Beitrag von Richard Habring »

mhanke hat geschrieben: 31 Okt 2018, 08:44 …..
Reden wir in zehn Jahren nochmal drüber, bis dahin bleibe ich bei meiner Ansicht, dass Uhrenteile, auch Hemmungsteile, dann reproduzierbar sein werden. Ob man das ohne die originalen Pläne bzw. Rechnerdateien machen kann, steht auf einem ganz anderen Blatt.
.....
tourbillon69 hat geschrieben: 31 Okt 2018, 09:05 ich ….. setze gerne eine Flasche guten alten Stoffs nach Deiner Wahl, dass Du irrst.
Nachtrag: Du darfst nicht nur den Preis selbst festlegen sondern dann auch noch entscheiden ob Du lieber etwas 20 Jahre im Eichenfass gereiftes oder stattdessen mittels moderneren Methoden hergestelltes vorziehst :rofl:
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Ralf
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Re: Silizium

Beitrag von Ralf »

Keiner hat eine Kristallkugel, die ihm sagt, welche Technologie sich durchsetzen wird. Betrachte man die Sache von über den ganzen Innovationstrichter, dann ist es normal, dass 90% aller Innovationen Sackgassen sind, die sich nicht durchsetzen. Nur, wenn man bei den 10%, die erfolgreich werden, nicht dabei ist, dann sieht man verdammt alt aus.

Zum Thema Silizium kann ich nicht viel sagen, das Material hat nicht die Eigenschaften, die wir für unsere Geräte brauchen. Was wir brauchen sind Silizium Halbleiter, und da sehe ich keine ungenutzten Kapazitäten. Im Gegenteil, das Rad dreht sich zur Zeit am Limit, Lieferfristen von über einem Jahr behindern uns massiv, wenn man keine Stückzahlen wie Smartphone- oder Spielekonsolen-Hersteller abnimmt muss man betteln, wenn man was dringend braucht (und Mondpreise zahlen).

Wir benötigen mechanische Teile aus beständigen Aluminium-, Stahl und Nickel-Legierungen. In der Prototypenentwicklung ist dies heute schon Standard. Erfahrungen:
  • Die mechanischen Eigenschaften übertreffen die von konventionellen Teilen. Sie sind höher belastbar, typisch 10 bis 20% besser als konventionell gefertigte Serienteile.
  • Die Oberflächengüte hat sich in den letzten Jahren dramatisch verbessert. Es fehlt nicht mehr viel, und die Anforderungen aus Pharma und Lebensmittelindustrie sind erfüllbar. Mit dem Aufwand, den die Uhrenindustrie heute in Nacharbeit investiert ist es auch nicht mehr weit, bis es geht.
  • Wir bewegen uns gerade an dem Punkt, an dem der Übergang zur Nutzung zur Serienfertigung ansteht. Neben den besseren Werten, weniger Fehlstellen ist die Möglichkeit, bisher undenkbare Formen zu realisieren den Mehrpreis wert.
  • Es ist ein Umlernen notwendig. Zum Beispiel ist das Design so zu wählen, dass möglichst wenig Stützstrukturen notwendig sind, bzw. sie so anzuordnen sind, dass das Entfernen möglichst einfach ist.

tourbillon69 hat geschrieben: 30 Okt 2018, 23:06 ... wie Deiner Meinung nach eine 4-Mann-Bude sich diese Technologie aneignen soll? ...
Wir sind keine 4-Mann-Bude, 13000 Mitarbeiter mit 2,2 Milliarden Umsatz. Trotzdem holen wir uns die Fertigung und Datenerzeugung zum Laserdruck von Aluminium, Edelstahl und Hastelloy nicht ins Haus. Es ist günstiger, sich einen Zulieferer zu erarbeiten, der das, nur das Thema als Spezialist beherrscht. Arbeitsteilung. Eines der Urprinzipien gerade der erfolgreichen Uhrenindustrie. Erfüllt natürlich nicht das Marketingmärchen der Manufaktur.
tourbillon69 hat geschrieben: 31 Okt 2018, 09:05 ...Diese Beweise zu erarbeiten dauert in der Uhrmacherei erfahrungsgemäss 10 Jahre und mehr. Und diese sind im Vergleich zur jahrhundertelangen Geschichte der Uhrmacherei auch nur ein Furz im Wind.
Ich habe jetzt 35 Jahre praktische Berufserfahrung. Selbst in dieser kurzen Zeit (relativ zur Geschichte der Uhrmacherei u.ä.) hat sich das Tempo dramatisch beschleunigt. Aus 20 Jahren für ein Produkt hat sich das auf unter 10 Jahre verkürzt. Aktuell, dank der Vollauslastung, werden schon Dinge nach 5 Jahren wieder eingestampft, zugunsten des "Neuen". Das nervt, oder um es deutlich zu sagen, es kotzt einen an, weil man massiv damit beschäftigt ist, altes am Leben zu halten, anstatt etwas neues zu machen (Stichwort: Bauteilabkündigung, mittlerweile alltäglich). Nur, das aufhalten zu wollen ist, als ob man mit einem Eimer versucht, einen Tsunami aufzuhalten. Es ist (leider) sinnlos, Zeitmassstäbe vergangener Zeiten auf die Zukunft anwenden zu wollen.
Man liest sich!

Ralf
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