Es zeigt sich dieser Trend schon recht lange, wenn auch schleichend.
Angefangen hat es mit der Modul-Schwemme.
Dann kamen die Unitas-Variationen mit 3/4-Platinen oder mit Omega Brücken-Optik bei der großen Railmaster.
Eher schleichend kamen die Umbauten von Peseux 7001 und Valjoux.
Moderne Fertigungsmethoden und neue Materialien hielten gleichzeitig Einzug, was in vielen Fällen vor allem zur Kostensenkung in Fertigung und Entwicklung, anstatt der Qualitätsverbesserung dient. (Ja, ich weiß, daß die PR-Abteilungen immer wieder angeben, wieviele Millionen-Milliarden die Entwicklung eines Uhrwerks zur Serienreife kostet, aber die lügen!)
Die Frage ist doch, was bei all der Modernität für den Kunden herausgekommen ist.
Wir feiern längere Gangreserven, als hätte man damit das Ei des Kolumbus, aber de facto ist es eine der wenigen Kenngrößen, die ein Kunde nachvollziehen kann.
Das Problem ist, daß bei all der Innovation der Kunde nicht weiß, was ein Qualitätsmaßstab für eine gute Uhr oder gar ein gutes Uhrwerk sein kann/soll/muß.
Ich erinnere mich, wie vor Jahren das Uhrenmagazin versucht hat, objektive Maßstäbe einzuführen. Heraus kamen dan Punkte für blaue Werkschrauben. Diese blauen Schrauben tauchten dann bei etlichen Herstellern sogar in weißen Werken auf - kostet ja nichts.
Es gab dann in diesem Zusammenhang einige interessante Artikel hier im Forum.
Beginnen wir mit diesem Artikel, der in seiner Aussage noch nicht zu Ende gedacht wurde:
Aufholen mit Technik
https://forum.watchtime.ch/viewtopic.php?f=6&t=69888
Hier geht es um das hohe Niveau der Plagiate, sogar bei Nischenmodellen. Diese Uhren werden mit den gleichen Maschinen hergestellt, wie die Manufakturprodukte aus der Schweiz. Man verwendet bei der Konstruktion die gleichen CAD-Programme. Einzig die Themen Qualitätssicherung und Detailverarbeitung sind nicht ganz auf dem selben Level, weil
- es den Kunden der Plagiate nicht darauf ankommt
- es auch der Großteil der Kunden der Originale keine Wahrnehmung der Details haben
Es zeigt sich in dem Artikel, daß es nicht teuer sein kann, die Teile (auch bei Nischenmodellen) herzustellen. Ein modernes CNC-Bearbeitungszentrum ist mit einem neuen Programm und einer gewechselten Werkstückaufnahme in der Lage unterschiedichste Teile aus unterschiedlichen Materialien herzustellen. Früher gab es einen nockengesteuerten Langdrehautomaten für jede Welle im Uhrwerk. Hebel ud Federn wurden gestanzt. Für jedes Teil eine eigene Stanze, versteht sich. Die Platinen wurden in den einzelnen Bearbeitungsschritten auf unterschiedlichen Bohrmaschinen und Fräsen bearbeitet. All diese Maschinen mußten ständig betreut, nachjustiert und auf Werkzeugverschleiß kontrolliert werden.
Das gibt es so nicht mehr bei den CNC-Maschinen. Die machen heute Platinen mit nur zwei Aufspannungen und morgen Aufzugwellen. Es werden wesentlich weniger spezialisierte Maschinen gebraucht, der Maschinenpark wird kleiner. Man braucht einen Fachmann der die Maschinen überwacht. Der Rest sind Einleger, die die Werkstücke in den Halterungen wechseln. Der Werkzeugbau wird nur für Werkstückhalterungen gebraucht, die allerdings in den selben CNC-Maschinen hergestellt werden, ergo entfällt er weitgehend. Das Lager für die Stanzwerkzeuge und Matrizen reduziert sich auf die Werkstückhalterungen.
Eine Maßänderung ist im CAD schnell erledigt und fließt in das Fertigungsprogramm der CNC-Maschine ein.
Das ist eine erhebliche Verbilligung und Flexibilisierung von Konstruktion und Fertigung. In China und in der Manufaktur.
Wenn man jetzt gehässig sein will, kann man den Bogen schlagen zu dem Werk welches Ausgangspunkt dieses Fadens war: ein von IWC stark modifiziertes Valjoux "to a degree that the `in-house` moniker is probably justified". Stellt man jetzt den chinesischen Hersteller gegenüber, der ein bestehendes Cina-Werk auf Omega-Coaxial umbaut. Ein Umbau auf Unruhbrücke erfordert Änderungen an der Grundplatine, dazu der geänderte Automatikaufzug - a degree that the "in-house" moniker is probably justified. Das Plagiat mit dem Manufakturwerk.
Natürlich weiß ich, daß man bei IWC einen faustisch-schweren Schöpfungsprozeß beschreitet und quasi aus einer Valjoux-Ursuppe schöpft, um daraus eine neues Kaliber zu kondensieren. Wohingegen die China-Uhr lediglich irgendwo zwischen Manufaktur-Satire und Camp-Ironie zu sehen ist.
Man kann und darf das nicht vergleichen..........
Ein weiterer interessanter Artikel aus diesem Faden bringt einen weiteren Aspekt:
Vom 2824 zum Powermatic...
https://forum.watchtime.ch/viewtopic.php?f=6&t=69842
Der Artikel beschreibt die Entwicklung neuer Werke aus dem ETA 2824. Die neuen Kaliber sind heruntergetaktet, was zu einer längeren Gangreserve führt (hosianna!). Das ist ein relativ alter Hut, den man von den ersten Swatch-Automatik-Werken kennt. Damals als grob und billig abgetan, begegnet uns dieses Werk jetzt als Chronometer. Die Vorteile der neuen Konstruktionsdetails liegen vor allem in der Rationalisierung bzw Automatisierung der Reglage. Eine Silizium-Hemmung, die nicht mehr eingestellt werden muß. Eine Unruh, die nicht mehr manuell abgeglichen wird.
Für die statische Chronometerprüfung mag die Heruntertaktung noch kein Problem sein, getragen wird es sicher anders aussehen.
Der Entfall des Rückerschlüssels als Möglichkeit eine Fehlerquelle des Gangverhaltens zu eliminieren, ist nicht neu, war nur leider bislang zu teuer und Marken wie Rolex oder Patek vorbehalten.
Das bringt mich zum nächsten Artikel aus folgendem Faden:
Interessanter Artikel zu Trade-Offs beim Design von Werken
https://forum.watchtime.ch/viewtopic.php?f=6&t=69880
Uhrmacherisch bringt der Artikel keine neuen Erkenntnisse. Das ist alles bekannter Stoff, paßt aber zum Thema.
Es stellt sich bei all diesen Artikeln die Frage, warum die klugen Erkenntnisse nicht in die Konstruktion neuer Werke einfließen?
Produktionsverbilligung und Steigerung der Gangreserve scheinen die einzigen Ziele zu sein.
Früher war es einmal die Ganggenauigkeit.
Es gab Observatorien, die Wettbewerbe mit Preisen für das genaueste Uhrwerk auslobten - eine Art Formel 1 der Uhrmacherei.
Erwartet man heute nicht mehr so viel in Sachen Ganggenauigkeit?
Oder ist man vom Intellekt her nicht in der Lage die "Genauigkeit" zu begreifen? Banalisierung?
Muß eine Uhr heute nicht mehr genau sein, weil man die genaue Zeit ohnehin vom Telefon abliest?
Ist die Uhr vom Instrument zum Statement verkommen?
Welchen armseligen Eindruck machen die Kunden auf die Konstrukteure, wenn man ihnen hohe Gangreserven als besonderes Konstruktionsziel vorsetzt, trotz aufgeblasener Gehäusedurchmesser an mickrigen Räderwerken jahrzehntealter Uhrwerke mit Durchmessern unter 26mm festhält und mit neuen Materialien wie Silizium nur eine Produktionsverbilligung erzielen möchte.
Wenn ein bekannter Hersteller beschließt, auf die Genfer Punze als Quatlitätsmerkmal zu verzichten und durch eine Hausnorm zu ersetzen, dann sollte man hellhörig werden. Die Genfer Punze, die unter anderem verhindern sollte, daß billige Stanzteile und Drahtfedern in Uhren Verwendung finden, läuft ins Leere, wenn man feststellt, daß CNC gefertigte Teile keinen signifikanten preislichen Nachteil mehr haben und ad hoc dem Reglement entsprechen.
Es fehlen neue Qualitätsmaßstäbe. Man sollte sich als Hersteller nicht auf Hausnormen zurückziehen, sondern für eine Verschäfung der Reglements entsprechend der technischen Entwicklung eintreten (Genfer Punze, COSC) oder einen Wettbewerb ähnlich der Chronometerwettbewerbe aufleben lassen.
Einige Hersteller bohren sehr dünne Bretter und verkaufen sie teuer als hohe Uhrmacherkunst.
Als Verbraucher und Uhrenfreunde sollten wir noch kritischer sein und nicht alles hinnehmen, was uns so präsentiert wird.
Ich sehe, daß das jetzt ein Rundumschlag geworden ist - sorry!
Peter