FAQ:Wie funktioniert das geheime Sexualleben des Edelstahls?

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Ralf
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FAQ:Wie funktioniert das geheime Sexualleben des Edelstahls?

Beitrag von Ralf »

Da das Thema Korrosion und Beständigkeit immer mal wieder auftaucht ein allgemeiner Beitrag, der ein bisschen Licht in das Thema Korrosion von Metallen im allgemeinen und (Edel-)Stahl im speziellen bringen soll.

Die ganze Story fängt mit den kleine Kerlchen im Metall an. Die wurden mal >Atom< genannt, weil man glaubte, kleiner ging nicht. War ein Irrtum, aber den Namen haben sie behalten. Die kleinen Kerlchen bestehen nämlich aus einem Körper, dem >Kern< und aus Extremitäten, den >Elektronen<. Manche Atome sind Einzelgänger, die wollen nichts von den andern, die nennt man dann >Edelgase<, aber das sind nicht so viele. Fast alle Atome wollen eine intime Beziehung mit anderen Atomen eingehen. Dazu stecken sie ihre Elektronen bei den andern Atomen rein, das gefällt beiden. Bei Metallen sind die anderen Atome die selbe Art, da ist die Beziehung irgendwie schon homo. Die verbinden sich schön rundrum miteinander, grosser Gang-Bang. Nur sind leider die gekniffen, die nicht mittendrin stecken, sondern am Rand rumhängen. Da bleiben in der Richtung, wo keiner von den Kumpels mehr rumsteht ein paar Elektronen übrig, wo sie (erst mal) keinen Partner finden. Wieviele das sind hängt jetzt vom Metall ab. Es gibt Metalle, da sind es sehr wenig, (>Gold<, >Platin<, ...) und es gibt welche, da sind das richtig viele (>Eisen<, >Aluminium<, >Zink<, ...). Das kann man messen, weil sich dadurch eine Spannung ausbildet, nach dem man die ganzen Metalle sortieren kann, heisst >elektrochemische Spannungsreihe<, kann man im Chemiebuch nachgucken.

Nun sind die Metalle hier nicht irgendwo im Nichts, sondern an dem Rand kommen irgendwelche anderen Teilchen, im Normalfall ein kunterbuntes Sammelsurium, dass wir >Luft< nennen. Eine Spezies dabei heisst >Sauerstoff<, ein GANZ anderes Geschlecht wie die Metalle. Die würden ganz gerne mit den Metallatomem auch ein paar unanständige Dinge treiben. Bei Aluminium z.B. tun sie das auch ganz schnell und ungeniert. Bei Eisen jedoch gibt’s da ein Problem, die müssen erst mal in die richtige Stimmung kommen, damit es richtig flott flutschen kann. Dazu braucht es doch tatsächlich ein Gleitmittel, damit die Elektronen so richtig ineinander ... können. Das ganze nennt man >Elektrolyt<, was ganz einfach eine leitfähige Flüssigkeit ist. Wenn das da ist, dann gefällt es den Eisenatomen viel besser mit den Sauerstoffatomen als mit denen der selben Art, das Homo-Gehabe war also mehr so aus der gefängnisartigen Zwangslage heraus bedingt, in Wirklichkeit sind die doch bi und relativ hetero. Wenig konservativ, weil, es ist schon entweder ein flotter Dreier: Zwei Eisen mit einem Sauerstoff >Fe2O< oder noch lieber Gruppensex: Zwei Eisen mit drei Sauerstoff >Fe2O3<. Das eigentliche Problem ist jetzt, das die dann nix mehr mit den andern zu tun haben wollen und sich verkrümeln. Damit werden die, die bisher innen waren zur Randgruppe und das Spiel geht weiter bis nix mehr vom Metall da ist.

Kerlchen wie >Aluminium< sind da ganz anders. Die treiben’s zwar auch mit dem Luftsauerstoff, nur bleiben die dabei schön brav da wo, sie hingehören (>Titan< auch!). Nicht nur dass, sondern sie bilden dabei sogar eine Schutzschicht, die härter und widerstandsfähiger ist als die pure Homogesellschaft. Ein Kondom, das die Masse vor irgendwelchen Infektionen schützt und das ganz von alleine entsteht. Toll! Nun haben ein paar schlaue Menschen nachgedacht und ausprobiert, ob man so was Geschicktes nicht auch dem Stahl beibringen kann. Stahl ist schon nicht so ganz homo, weil da ein paar wenige Kohlenstoffkerlchen mit dazwischen gemixt werden, sozusagen Gefängnisaufseher, die aufpassen, dass sich diese schlüpfrigen Eisenatome nicht so leicht rumrutschen, sonder mehr an ihrem ursprünglichen Platz bleiben und damit das Teil besser in Form bleibt. Und man hat auch was gefunden. Es gibt Kerlchen, die haben die Name >Chrom< und >Nickel<, die sind dem Eisen ziemlich ähnlich, aber bleiben schön zusammen. Packt man die nun in ausreichender Stückzahl (viel viel mehr als die Kohlenstoffs) in den Stahl, dann greifen sich diese Kerlchen an der Oberfläche die Sauerstoffdamen, noch bevor sie mit den Eisenatomen was böses tun können und bilden eine dünne, aber stabile Passivschicht, sozusagen ein gefühlsechtes Kondom, wenn man es so ansieht merkt man gar nichts davon, es sieht voll metallisch aus.

Tolle Erfindung, Name >Edelstahl< oder >rost- und säurebeständiger Stahl< (manche sagen auch >nichtrostender ~< oder >rostfreier Stahl<, was aber so nicht so richtig wahr ist), nur gibt es ein paar Damen, die sind richtig sexy, noch attraktiver als Sauerstoff. >Schwefel<, >Chlor<, um nur zwei von denen zu nennen. Kommen in guter Luft nicht vor, aber halt schon wo anders. Salz z.B. ist eine ganz feste Ehe zwischen >Chlor< und >Natrium< (ganz böses Metall!). Eigentlich halten die beiden echt gut zusammen, solange nicht ein dritter dazwischenpfuscht. Der Dritte heisst Wasser >H2O<, der sorgt dafür, dass die zwei in ihrer Beziehung eine temporäre Auszeit nehmen und anfangen, rumzuvagabundieren. Kommt jetzt so ein Chlordämchen an dem Edelstahl vorbei, kommen die Metallkerlchen schon in Versuchung. Ob und wann sie ihr nachgeben ist eine Frage, wann und wie viel sonst noch mit im Stahl drin sind. Nennt sich die Mischung
- 316L (das war amerikanisch),
- 316S11 (das war englisch),
- Z32 CND 18.12.02 oder Z32 CND 18.14.03 (... französisch),
- X2 CrNiMo 17 13 2 oder X2 CrNiMo 17 13 3 (das war deutsch),
- 1.4435 oder 1.4404 (das war numerisch),
dann würden sich langfristig schon ein paar davonmachen. Ist aber wie bei vielen harmloseren Infektionen: gute Hygiene, regelmässiges Händewaschen, vor allem DANACH, und man bleibt gesund. (Nach Salzwasserkontakt mit klarem Süsswasser abwaschen!)

Eine böse, aber seltene Falle bleibt noch. Wenn ein paar von den nymphomanischen Dämchen angreift, merkt man das gar nicht. Die Anderen in der Umgebung flicken das Kondom sofort und bilden eine neue Schutzschicht. Nur, dazu brauchen sie die Sauerstoffdamen! Wenn die nicht rankommen, funktioniert das mit der Kondombildung auch nicht. Noch ein Grund mehr fürs Putzen (ganz einfach: mit dem geeigneten Tuch einfach trocken abreiben, reicht schon). Meistens, denn leider gibt es da noch den oberfiesen Fall, das wirklich ganz wenig >Chlor<, >Chrom<, >Brom<, ... angreift und es schafft, das Kondom nicht dolle kaputtzumachen, sondern nur ein kleines Löchlein reinzupieksen. Und das ist nun richtig richtig hinterfotzig. Es ist so klein, dass man es mit blossem Auge nicht sieht. Jetzt kann es passieren, das irgendwas dieses kleine Loch verstopft, und jetzt können die nützlichen Sauerstoffdamen - auch nach dem Putzen - nicht an den Schaden ran, das Schutzimmunsystem ist lahmgelegt: Hallo AIDS!!! Innen, in dem Loch frisst sich die Infektion immer weiter und weiter. Da das ganze mit Elektronenaustausch zu tun hat, fliesst da ein Strom, der wieder macht ein elektromagnetisches Feld, das wiederum richtet die Elektronen aus, Folge, die ganze Sache gräbt sich vorzugsweise wie ein Wattwurm, der Schutz sucht, immer tiefer nach unten in das Metall, weg von dem Sauerstoff, der die ganze Sache stoppen würde. Der spezielle Fall heisst dann >Lochfrass<.

Das mögen Menschen nun gar nicht, weil irgendwann frisst sich dieser Wurm sogar auch durch bis zur andern Seite. Wenn das jetzt eine Wand war, die dafür sorgen soll, das andere böse Atome drin bleiben, dann können die jetzt durch dieses Loch raus, was wiederum den Menschen, den Tieren, den Pflanzen und noch so ein paar Dingen nicht gut tut. Dass nennt man relativ schnell >Chemieunfall< oder sogar >Katastrophe<. Manche sagen dazu >Betriebsstörung<, aber das ist eine andere Story. Dann kommen die Geschichtenerzähler, die heutzutage >Journalisten< genannt werden. Da das Wort Lochfrass ganz anschaulich klingt, und zwischen den vielen schwierigen Fachwörtern, die die Ingenieure auf der Pressekonferenz benutzt haben das eines war, dass man sich merken konnte, schreiben sie es dann prompt in ihren Artikel. Wenn Ihr es also das nächste mal lest, wisst Ihr, was es wirklich bedeutet. Und dass die normale Korrosion viel öfter passiert, nur schreibt halt kaum einer darüber, dass irgendwo ein angerostetes Rohr entdeckt und ausgetauscht wurde. Ausser es war in einem Kernkraftwerk, aber auch das ist wieder eine ganz andere Geschichte!

Wie dumm Menschen sein können sieht man auch an einer anderen Korrosionsart. Eigentlich ist das mit dem Sauerstoff, der ran können muss, doch ganz einfach zu verstehen. Trotzdem gibt es aber immer wieder welche, die da nicht dran denken. Die bauen Sachen aus Stahl, und dann setzen sie Teile so zusammen, oder falzen eines so, dass dabei ein Spalt bleibt, in dem sich zwar die Elektrolyte richtig wohl fühlen und gut festhalten können (Stichwort >Kapillarwirkung<), inklusive der sexy Atome, der aber so eng ist, das keine Luft mehr rankommt. Auch der Name ist ganz eingängig: >Spaltkorrosion<. Und was dann da im Spalt alles besonders heftig passiert, das wisst Ihr ja schon.

Noch ’ne Korrosionsart: Stellt Euch vor, unterschiedliche Männchen kommen nebeneinander zu liegen, (so richtig unterschiedlich wie Schweizer und Türken). Die haben dann unterschiedlich viele von den freien Elektronen an der Oberfläche. Das gibt dann echt Spannung in der Beziehung, sobald oben schon erwähntes Gleitmittel >Elektrolyt< an beide kommt. Da geht die Post ab, und der Stärkere gewinnt und frisst den Schwächeren auf. Alles wie im richtigen Leben. Wen es wann trifft sieht man in der auch schon erwähnte >elektrochemische Spannungsreihe<, der mit der positiveren Spannung gewinnt und das Spiel nennt sich >Kontaktkorrosion<. Wenn man schon beide braucht, weil z.B. nur eine Mannschaft auf dem Platz eher langweilig zum Zusehen ist, dann sollte man schon von vorneherein eine Security-Truppe anheuern, die die beiden Parteien voneinander (elektrisch) isoliert. Die Spannung bleibt zwar, aber es kann wenigstens kein Blut (aka >Strom<) fliessen und die Männchen bleiben brav da, wo sie hingehören.

Die letzte Korrosionsart, von der ich Euch erzähle (es gibt schon noch ein paar mehr) ist sehr häufig. Bei der treiben schon einige Eisen- und Sauerstoffatome eine wilde Gruppensexparty. Dabei lassen sie sich so durch die Gegend treiben und landen hie und da, oder hängen sich an z.B. ein Werkzeug als Fähre, von wo aus sie weiter wandern. Lassen sie sich nun gerade auf einer Edelstahloberfläche nieder, dann schauen die andern Eisenatome da nicht ewig zu, sondern sagen: „Ey Leut, ist richtig was gut los da drüben, geil, da mache wir doch gleich krass mit!“. Gesagt, getan, kann man durchaus mitfühlen. Und da sie das Zugucken schon richtig angemacht hat, klappt’s sogar ohne Gleitmittel. Trotz Chrom und Nickel gibt’s dann den berüchtigten >Fremdrost<! Hört sich schlimm an, aber die Abhilfe ist wieder ganz einfach: regelmässig und vor allem bei akutem Befall Aktion Saubere Leinwand, genau das gleiche Rezept wie bei den sexy Damen ..., eine ordentliche Abreibung!

Also Leute: am besten
sauber bleiben!

Historisches Addenum:
Das älteste Patent zu dem Thema stammt von der Firma Krupp aus Essen aus dem Jahr 1912. Basierend auf den Versuchen mit den Testmustern V2A und V4A. (das sind wirklich die damaligen alphanumerischen Versuchsnummern!) Praktisch zeitgleich hat in England Harry Brearley dran gearbeitet, kam damit 1913 raus. Echte Ricola Story zwischen England und Deutschland, wer's nun wirklich erfunden hat. Im ersten Weltkrieg hat man sich dann um andere Stähle gekümmert. Weiter ging's erst wieder danach.

18-8 wurde 1926 je nach Quelle von Strauss oder Hadley erfunden, für 316 L habe ich auch zwei Jahreszahlen, 1943 und 1946, alles nicht so ganz historisch belegt und widersprüchlich. In Deutschland war auch wieder die Sch... am Kochen, um dann erst um 1950 wieder aufzuholen.
Man liest sich!

Ralf
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