VIERTES KAPITEL
Warum die Badewannenkurve auch für Freischwimmer wichtig ist
Die Frage existier in vielen Varianten:
- Ist es denn sinnvoll, die Dichtigkeit überprüfen zu lassen?
- Wann sollte man die Dichtigkeitsprüfung machen?
- Wie oft ... ?
- Nach welcher Zeitspanne ... ?
- Wie kann es sein, dass trotz bestandener Prüfung Wasser eindringt?
- Wieso sollte die Dichtung nach der Prüfung besser sein als vorher?
Ein Haufen Fragen und zu allem Überfluss möchte ich nicht nur die Standardantwort geben:
(mindestens) einmal im Jahr, am besten vor der Badesaison, prüfen lassen
sondern auch die Begründung. Dazu bedarf es aber erst eines Exkurses in das Thema Lebensdauer. Das Problem ist, dass nicht immer alle gleichzeitig kaputt gehen, sondern an und für sich identische Teile sehr unterschiedliche Zeitspannen überleben, rein zufällig und es keine Möglichkeit gibt, vorauszusagen wie sich ein bestimmtes einzelnes Exemplar verhalten wird. Genauso wenig, wie man vorhersagen kann, welche Augenzahl beim nächsten Wurf eines Würfels kommen wird. Was man aber beim Würfel vorhersagen kann ist, dass mindestens 1, maximal 6 und im Mittel 3,5 Augen kommen werden. Lebensdauervorhersagen beruhen auf dem selben Prinzip. Kürzer als Null wird keiner leben, irgendwann sind sicher alle tot und zu einem bestimmten Zeitpunkt ist die Anteil, der ausfällt x Prozent der Gesamtheit. Bei vielen Fällen, nicht nur technischen, stell man dabei einen ganz typischen Verlauf der Kurve fest, die sogenannte
Badewannenkurve.
Die rote Kurve im Diagramm ist gemeint. Zuerst geht es ganz steil runter (Fussende der Badewanne) dann bleibt es fast konstant (Boden), um dann am rechten Ende wieder langsam, aber kontinuierlich, anzusteigen (Rückenlehne). Die blaue Kurve ist das Ergebnis, wenn man alle Ausfälle der roten Kurve bis zum Zeitpunkt x aufsummiert. Sie zeigt auf der blauen Skala rechts, wie viele schon defekt sind. An der Zeitskala steht mit Absicht Periode und nicht eine bestimmte Zeiteinheit, aus drei Gründen. Erstens sind die Zahlen so gewählt, dass nach 100 Perioden genau 100%, also alle defekt sind, und die Prozentzahlen so gross sind, dass man in der Grafik auch tatsächlich was sieht. Zweitens, weil sich jeder sowieso selber entschieden muss, bei welchem Risiko er sich wohlfühlt. Die einen meiden jegliches Wasser wie der Teufel das geweihte, weil ihrem Schätzchen was passieren könnte, andere akzeptieren ein Restrisiko, dass die Uhr ggf. mal repariert werden muss. Die Entscheidung, wo der persönliche Wohlfühllevel ist, kann die Statistik nie beantworten. Drittens sind die Beanspruchungen in der Praxis deutlich unterschiedlich. Viel Feuchtigkeit, hohe Temperaturen, viel schnelle Temperaturwechsel, chemische Kontamination verkürzt die übliche Zeit.
Zurück zur Kurve: Wie kommt es zu dieser Form? Man kann drei Ausfallarten unterschieden:
-
Frühausfälle
Es war von Anfang an was nicht in Ordnung, und das wird bei der ersten tatsächlichen Belastung entdeckt.
-
Zufällige Ausfälle
Wie beim Würfel, reiner Zufall, irgendwann passiert es, kein Zusammenhang mit der Zeit.
-
Alterung
Die Zeit schlägt unbarmherzig zu, Dinge verschleissen, werden morsch, spröde oder zerfallen einfach.
Die Badewannekurve (rot) ist jetzt ganz einfach die Summe aus den drei einzelnen Ursachen und deren Wahrscheinlichkeiten.
Man beachte die logarithmische Skala beim Anteil, für Frühausfälle und Alterung wir als Modell jeweils eine Exponentialkurven angenommen, die Wahrscheinlichkeit also einfach als Multiplikation eines konstanten Faktors mit der Wahrscheinlichkeit der vorangegangenen Periode berechnet.
Die typische und wahrscheinlichste Ursachen für einen Frühausfall sollte klar sein: Die Dichtung ist falsch eingebaut oder die falsch Dichtung eingebaut worden. Deswegen ist die Prüfung unmittelbar nach Montage der Uhr eigentlich Pflicht. Nun ist das mit der Prüferei so eine Sache. Nobody is perfect. Weder der Einbau, noch die Prüfung. Bei der Prüfung gibt es zwei Arten von Fehlern:
- Undichte werden nicht als schlecht aussortiert
- Dichte werden als schlecht aussortiert
Ich bin mal ziemlich pessimistisch und setze für den ersten Fall 2% und für den zweiten 0,2% an. Modellbeispiel: von 10000 Uhren sind nach Montage 200 undicht und 9800 dicht (1. roter Punkt). Von den 200 undichten werden 196 rausgeprüft, von den 9800 guten 20, man startet also mit 9748 Exemplaren, davon 4 undicht (2. roter Punkt).
Weiter nach rechts folgen dann Periode für Periode die Punkte der blauen kumulierten Kurve aus dem Diagramm Ausfallkurve. Bei der Gelegenheit: Durch diese Endprüfung beim Hersteller verbessert sich die MTBF von 79,82 auf 81,45 Perioden!
Nach 10 Perioden sind noch 9560 dicht und 225 undicht. Führt man jetzt eine neue Dichtigkeitsprüfung durch werden 220 schlechte und 19 gute aussortiert. Bleiben also 9541 gute und 5 schlechte im Rennen = 9546. In der folgenden Periode wechseln 16 von gut zu schlecht. (5 + 16) / 9546 = 0,22% ist dann der erste grüne Punkt in der Periode 11. Die grünen Punkte im Diagramm zeigen, wie es bei regelmässiger Wiederholung alle 10 Perioden weitergeht mit der Ausfallwahrscheinlichkeit. Man erkennt ziemlich deutlich folgendes:
- Die Wahrscheinlichkeit eines Schadens nimmt durch die Prüfung stark ab
- Null wird sie allerdings auch nicht
- im letzten Drittel rentiert es sich die Dichtung zu wechseln, selbst wenn das Prüfergebnis gut ist.
Was zu der Frage führt, wann man die Dichtung frühestens wechseln sollte. Sieht man die grüne Kurve genau an entdeckt man, dass die mittleren Niveaus erst mal sinken, trotz immer steiler werdendem Verlauf.
1 bis 10: 1,56%
11 bis 20: 0,96%
21 bis 30: 1,01%
31 bis 40: 1,15%
41 bis 50: 1,45%
51 bis 60: 2,10%
61 bis 70: 3,56%
Erst der sechste Zacken ist höher als der erste, Der zweite, dritte und vierte Intervall zwischen den Prüfungen ist deutlich niedriger. Eine Dichtung früher zu wechseln verschlechtert die Lage! Alte chinesische Ingenieursweisheit: never touch a running system. Wichtig: Die Rechnung gilt so natürlich nur, wenn die Uhr zwischendrin nicht geöffnet wurde! Dann sind die Dichtungen im Verhältnis zum Rest so preiswert, dass sich ihre Wiederverwendung wirklich nicht lohnt.
--------------------------------------------------
Und zum Schluss doch noch ein paar konkrete Zahlen genannt, wobei sich mein persönliche Einschätzung mit häufig genannten deckt.
- Uhren, die tatsächlich regelmässig starker Feuchtigkeit ausgesetzt oder untergetaucht werden (Outdoor und Wassersport) jährlich prüfen lassen.
- Prüfung nach jeder Öffnung ist dringend zu empfehlen.
- Bei neuen Uhren, die nicht wegen Nachregulierung sowieso geöffnet werden nach ein paar Monaten zusätzlich eine Prüfung ist kein Fehler.
- Nach circa fünf Jahren sollte die Dichtungen vorsorglich gewechselt werden.
Das ein Schaden nur dann eintritt, wenn Undichtigkeit und Wasser zusammen vorkommen, letzteres ist in der Modellrechnung gar nicht erfasst, bedeutet aber auch:
- Bei Uhren , die nur kurzfristig und unbeabsichtigt Feuchtigkeit abbekommen (Hände waschen und im Regen über den Parkplatz) kann man die Prüfung auch mal aussetzen. Auch kann man dann ggf. die Dichtung etwas länger drin lassen und z.B. bis zur Werksrevision warten.
--------------------------------------------------
Noch ein Satz zu denjenigen, deren Uhr auch nach ... ... Jahren dicht war:
Ja, im Rechenmodell waren sogar nach 99 Perioden noch 615 Uhren dicht.
C'est la vie, und es beweist halt gar nichts.