Ein besonderer Neuzugang: IWC Ingenieur SL 3003 - Quarz

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u2112
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Ein besonderer Neuzugang: IWC Ingenieur SL 3003 - Quarz

Beitrag von u2112 »

Liebe Vintage-Freunde,

in heutigen Zeiten kreist das Uhrenhobby ja ganz wesentlich um mechanische Armbanduhren. Das war nicht immer so und wäre um ein Haar auch heute nicht mehr der Fall. Warum? Anfang der 70er Jahre erlebte die Uhrenbranche nach einer längeren Zeit des gemütlichen Wachstums einen regelrechten Schock, eine "disruptive Innovation" wie man so schön sagt. Diese Innovation zeichnete sich bereits seit Jahren ab und hat ihre Wurzeln bereits in der Zeit vor dem zweiten Weltkrieg: Die Quarzuhr.

In verschiedenen Ländern wurde seit den 30er Jahren besonders im industriellen Bereich mit Quarzuhren experimentiert, u.a. vom auch heute noch aktiven Unternehmen Rohde & Schwarz. Im Consumer-Bereich wurde die Quarz-Technologie aber erst in der Nachkriegszeit relevant. Zunächst über Stimmgabelwerke (Bulova war hier der Pionier mit der "Accutron"), ab den 60er Jahren dann mit Blick auf die drohende Konkurrenz aus Fernost und den USA "echte" Quarzuhren. Zu diesem Zweck wurde 1962 ein Konsortium der schweizer Uhrenhersteller gegründet, das Centre Electronique Horloger (CEH) in Neuchatel. Dieses sollte ein elektronisches, hochpräzises Uhrwerk für seine 16 Anteilseigner entwickeln (und dazu gehörten alle großen Namen wie Rolex, Patek Philippe, IWC, Jaeger le Coultre, Omega etc.). Im Jahr 1967 war man dann gefühlt am Ziel und konnte die erste analoge Quarz-Armbanduhr präsentieren, die Beta 1. Doch der Triumph währte nur kurz, die Japaner hatten eine deutlich kürzere "time to market" und so waren es Seiko, die 1969 die erste Quarzarmbanduhr für den Massenmarkt vorstellen konnten, die Astron. Ein Schlag, von dem sich die Schweizer nicht wieder erholen sollten und der den Grundstein für die Dominanz asisatischer Hersteller in diesem Markt für das kommende Jahrzehnt legte.

Die schweizer Hersteller konnten erst 1970 nachlegen und mit der Serienversion des Werkes (Beta 21, später Beta 22) starten. Die Werke waren nahezu baugleich bei allen Marken, ob Patek (Ref. 3597), Rolex Quartz-Date 5100 oder die besonders schräge IWC Da Vinci (die Vorlage für das Modell in der Vintage Collection) - hier hieß das Kaliber 2001, später 2002.

Lange hielt diese Allianz nicht, zumal schnell klar wurde, dass Quarz den gesamten Markt verändern, zum Teil sogar zerstören würde. In der Anfangszeit waren elektronische Uhren noch sehr teuer, die Preise fielen dann aber innerhalb von Monaten schnell in sich zusammen. Bald konnte sich jeder eine "Billig-Quarz" Uhr leisten - die genauer lief, als alles, was die Schweizer Chronometer-Hersteller je mechanisch hervorgebracht hatten. Eine fatale Entwicklung, denn rein funktional war (und ist) die Quarzuhr der Mechanik weit überlegen. Billiger, genauer, wartungsfreier - da wurde es dann eng für die Etablierten. Das waren die Jahre, in denen auch James Bond mit Knöpfchen Seikos durch die Gegend sprang un die Rolex lange als antiquiert abgelegt hatte (dazu passte dann auch der Lotus deultich besser, als der Aston Martin).

Schaut man sich die Kataloge aus dieser Zeit an, spürt man die Ratlosigkeit und Verzweiflung der Produktentwickler und -manager. Eine richtige Strategie hatten die wenigsten und so gingen viele, auch bekannte Hersteller in dieser Zeit unter (Zenith, Breitling, Blancpain, GP usw.). Andere konnten sich nur durch Verzweiflungsaktionen durchschlagen, u.a. IWC. IWC lebte in den 70er Jahren von der Hand in den Mund, Gehälter konnten zum Teil nur nach erfolgreichen Verkaufstouren in den Nahen Osten (viel Gold und Brillis, daher auch die blauen Zifferblätter) gezahlt werden. Und man schwankte zwischen Extremen: Eine Idee war, alles auf mechanische Taschenuhren zu setzen, die Ende der 70er Jahre groß gespusht wurden (ohne größeren Erfolg). Die andere Idee war, alles auf Quarz zu setzen, was man in den Katalogen ab Mitte der 70er Jahre schön erkennen kann. Auch ohne größeren Erfolg, es waren auch viele wirklich belanglose Modelle darunter.

In all dem Elend stand ein Modell heraus: die Ingenieur SL "Jumbo", die - mitten in der Krise eingeführt - in manchen Jahren die einzige mechanische Armbanduhr von IWC war. Auch sie war kommerziell ein veritabler Flop, mit rund 600 verkauften Exemplaren (davon knapp 50 in Gold). Neben vielen Innovationen hatte die Jumbo aber noch eine Besonderheit: Man konnte in das identische Gehäuse sowohl ein Automatik-Werk (Kal. 8541 ES) als auch ein Quarzwerk (Kal. 2405) verbauen - und so wurde bunt getauscht: Viele unverkäufliche Automatik-Modelle wurden von Händlern zurückgeholt und auf Quarz umgerüstet und danach zurück in den Verkauf gegeben. Interessanterweise ist die 3003 trotzdem noch seltener geblieben als der automatische Bruder: Nur 335 Stück wurden von 1976/77 bis 1979 gebaut.

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(C) IWC / Larry Seiden / Marco Schönenberger / David Ter Molen http://www.moeb.ch/Ingenieur/03e_Jumbo.html#

Danach folgt die optisch ähnliche, aber wesentlich flachere Ref. 3303, die eine reine Quarzuhr war (auch kein Renner).

Gut 30 Jahre später haben sich die Zeiten geändert - Uhren sind heute mehr Schmuck als Werkzeug, die Mechanik erlebte eine Auferstehung und Quarz ist (zumindest im Luxussegment) out. Und so werden heute Ingenieur Jumbos wieder zurück auf Mechanik umgerüstet, übrigens ganz offiziell durch IWC. Aus der Quarz-Zeit ist nur wenig nachgeblieben, ganz selten taucht mal eine auf. Und wie der "Zufall" will, fiel mir Anfang der Woche eine in die Hände: IWC Ingenieur SL 3003 in Stahl - aus erster Hand, immer gut gepflegt und zuletzt 2005 zur Komplettrevision bei IWC.

Und wer bis hierhin durchgehalten hat, hat sich die Bilder wirklich verdient ;)

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Und nochmal ein Gruppenbild mit der Automatik-Version - der einzig sichtbare Unterschied ist die Zifferblatt-Beschriftung. Das Band der 3003 ist auch ganz leicht flexibler, wobei da die Gelehrten streiten, ob das ein Feature oder nur eine Produktionstoleranz ist.

Ein schönes Paar und eigentlich das perfekte Symbol für die Zeitenwende, die damals die Quarzkrise brachte - in den 70er Jahren hat man müde gelächelt, über die alten Mechanik-Möhren. Heute hat sich das Blatt komplett gewendet. Das hätte sich 1979 bestimmt auch keiner bei IWC träumen lassen...

Gruß,
Christian
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kochsmichel
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Re: Ein besonderer Neuzugang: IWC Ingenieur SL 3003 - Quarz

Beitrag von kochsmichel »

Einfach nur geil! :D
Light side of the mood!
Superocean
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Registriert: 15 Jan 2012, 10:12

Re: Ein besonderer Neuzugang: IWC Ingenieur SL 3003 - Quarz

Beitrag von Superocean »

Wunderschön und danke für Deinen Bericht und die Erläuterungen; ich habe gerne bis zum Schluß "durchgehalten" :mrgreen:
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taktix
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Re: Ein besonderer Neuzugang: IWC Ingenieur SL 3003 - Quarz

Beitrag von taktix »

Toller Fang, die Zifferblattstruktur ist echt Klasse. Schönes Pärchen zusammen mit der Automatic - viel Spaß damit.
Gruß
Andreas
--
Das Denken ist zwar allen Menschen erlaubt, aber vielen bleibt es erspart.
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cool runnings
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Re: Ein besonderer Neuzugang: IWC Ingenieur SL 3003 - Quarz

Beitrag von cool runnings »

Schöne Vorstellung für eine Quarzuhr. :mrgreen:

Spaß beiseite. Glückwunsch zur Neuen.
thomas171076
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Re: Ein besonderer Neuzugang: IWC Ingenieur SL 3003 - Quarz

Beitrag von thomas171076 »

Lieber Christian,

wie immer, beispielhaft vorgestellt, perfekt recherchiert, toll geschrieben und gerne gelesen! Weiter so und ganz viel Spaß mit dem schönen Quartz Ticker! :D
«Ich habe einen ganz einfachen Geschmack. Ich bin stets mit dem Besten zufrieden.»
Oscar Wilde (1854-1900)
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u2112
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Re: Ein besonderer Neuzugang: IWC Ingenieur SL 3003 - Quarz

Beitrag von u2112 »

... danke, danke :D

Hätte auch vorher nicht gedacht, dass mich eine nicht-mechanische (zumindest nicht nach der reinen Lehre) Uhr so packt, aber gerade im Zusammenspiel mit der 1832 ist das schon ein Traumpärchen. Hoffentlich hält sie noch eine Weile durch, auf der IWC-Service-Liste ist das 2405 zumindest nicht mehr aufgeführt...

Ich habe mir die letzten Tage auch mal etwas weitere Infos zum Thema Quarz angeschaut, als Technik-Laie war mir das vorher nicht so wirklich klar, wie so ein Werk im Detail funktioniert.

Und eigentlich ist das schon eine sehr interessante/besorgniserregende (?) Entwicklung: Die TU meines Urgroßvaters lässt sich noch heute problemlos revidieren - es gibt auch nach fast 100 Jahren Leute, die das Wissen haben und die Teile gibt es auch noch. Bei Quarz ist es wohl selbst bei den teuersten der teuersten Uhren (und dazu dürfte man wohl die SL der damaligen Zeit im Quarz-Bereich zählen) vielleicht nach 40 oder spätestens 50 Jahren vorbei. Und selbst mit dramatischem finanziellen Aufwand wäre da nichts zu machen. Wenn man das jetzt überträgt auf die vielen "banalen" Dinge unseres Alltags, kann man da schon ins Grübeln kommen - wie viele eigentlich für ihre Epochen wichtige Dinge unwiederbringlich verloren gehen und wie schnell das passiert.

Die Quarz-Uhren gehören ja zur ersten Generation des Elektronik-Zeitalters, das ist ja nur der Anfang. Wenn man das dann noch von Hardware auf den Software-Bereich ausdehnt... - ich habe meine Abizeitung damals auf 5 1/4 Zoll Disketten gespeichert, die Diplomarbeit mit einem ZIP-Drive, beides wird schon schwierig (und da reden wir nicht von 50 Jahren, sondern eher 15 Jahren). In der der Deutschen Nationalbibliothek wurde mir mal von all den Problemen berichtet, die Bibliothekare heute haben. Was das alleine für ein Geeier ist, die PDF-Sachen sicher kompatibel zu halten.

Anderes Beispiel: Ein alter Freund hatte zu New Economy-Zeiten eine recht bekannte Webseite, die später nach verschiedenen Übernahmen in der Versenkung verschwand. Außer bei archive.org gibt es nirgendwo mehr Spuren davon - die haben selber auch nichts mehr, keine Back-Ups der Seiten oder Produktiv-Systeme, nicht mal Screenshots. Vor gut 10 Jahren war das noch einen Milliarden-Unternehmen - alles ausgelöscht, da gibt es keine Industriebrachen mehr, aus denen man Kulturzentren machen könnte...

Gruß,
Christian
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3fe
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Re: Ein besonderer Neuzugang: IWC Ingenieur SL 3003 - Quarz

Beitrag von 3fe »

Ich habs bei Christians Beiträgen schon mal geschrieben: Der Mann hat einen Plan! :P

Auch wenn mir persönlich die SL überhaupt nicht gefällt, freue ich mich für dich dieses Pärchen zu besitzen.
Beste Grüsse
Jörg


If you see a toilet in your dream, do not use it. It's a trap.
Roland Ranfft
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Re: Ein besonderer Neuzugang: IWC Ingenieur SL 3003 - Quarz

Beitrag von Roland Ranfft »

Moin Christian,

eine wirklich schöne Zusammenfassung der Geburtswehen der Quarzuhr. Mir fehlte darin nur das Girard-Perregaux 352. Ich habe natürlich nicht mit der Stopuhr an den verschiedenen Fabriktoren gestanden, aber GP behauptet natürlich daß sie die ersten waren. Ich selbst habe auch nur welche verkauft, die zwischen 1971 und 1973 gefertigt wurden, aber vielleicht findet ja mal jemand einen besonders frühes Datum auf dem Motorola-Chip. Der war damals das mit Abstand teuerste Teil der Uhr und man kann davon ausgehen, daß Fertigungswoche von Chip und Uhr selten weit auseinander lagen.

Wie man es auch sieht, das Beta 21 hatte einen Klinkenantrieb wie Bulovas Brummer und einen Quarz mit mäßigen 8kHz, das GP 352 dagegen bereits einen Schrittmotor und 32kHz, also etwa das Konzept, das heute allgemein üblich ist.

Gruß, Roland Ranfft
Das größte Uhrwerk-Archiv im Internet:
http://www.ranfft.de/cgi-bin/bidfun-db. ... fft&&2uswk
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walter
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Re: Ein besonderer Neuzugang: IWC Ingenieur SL 3003 - Quarz

Beitrag von walter »

Eine bemerkenswerte Uhr: Noch ein paar Jahre ( ich hoffe für Dich, daß Du statistisch am oberen Ende liegst) und diese Uhr taugt "nur noch" zur Umrüstung auf Mechanik :shock:

Ich bewundere Deinen Mut, so schön die Uhr auch ist...ich hätte sie nicht gekauft.
LG
Walter

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u2112
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Re: Ein besonderer Neuzugang: IWC Ingenieur SL 3003 - Quarz

Beitrag von u2112 »

... naja, sooo groß ist das Risiko auch wieder nicht - wenn Dir eine Kal. 8541 stehen bleibt und die nach Schaffhausen geht, ist man auch schnell 1000,- Euro los. Und hier wären es zwei Optionen: Entweder Umrüstung (schwer zu sagen, aber ca. 3.000,- Euro dürfte das kosten), dann wäre es eine nicht ganz günstige (aber auch nicht absurd teure) 1832 - oder man lässt es, dann hätte man eine komplette "Karosserie" für die 1832 in Reserve. Das wären dann zwar teure Ersatzteile, aber auch kein Totalverlust. Die Batterie müsste noch ca. 6 Monate halten, dann würde ich sie vermutlich eh wieder nach SH schicken - vielleicht hält das Werk ja dann nochmal komplette 5 Jahre durch (*aufholzklopf*) ...

Gruß,
Christian
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AlexH
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Re: Ein besonderer Neuzugang: IWC Ingenieur SL 3003 - Quarz

Beitrag von AlexH »

Ich glaube solange das Ding läuft, werden sich die Probleme in Grenzen halten. Schlimmer wirds eher wenn mal die Batterie leer wird. Diese wird dann aus Sicherheitsgründen herausgenommen und die Uhr wandert in die Vitrine. Versucht man dann nach ein paar Jahren die Gute wieder zu starten ist Ende. Die läuft nicht mehr an.
Dasselbe Prinzip wie mit alten Jaguars oder Gefriertruhen. Solange sie laufen, alles kein Problem. Aber wehe die werden mal für ne Zeit stillgelegt.
Dann sind sie oft reif zum wegmscheissen.

Gruß
Alex
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Die kennen das Wort gar nicht.

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Hertie
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Re: Ein besonderer Neuzugang: IWC Ingenieur SL 3003 - Quarz

Beitrag von Hertie »

Ich wiederhole mich, aber es ist wie es ist. Wie immer ein Super-Bericht über Super-Uhren. :D

Die Jumbo ist einfach eine der herausragenden Uhren der Armbanduhrengeschichte. Egal ob sie einem gefällt oder nicht. :wink:
Gast-Member Nr.1 - am 15.2.2006 virtuell bereits im Schlafsack vor der Türe wartend.
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