Ich nehme jetzt mal das Thema "Servicierbarkeit" als Aufhänger um zum Kern des Threads zurückzuleiten:
Ich möchte Dir ja nicht den Glauben an die Möglichkeiten der großen Hersteller nehmen, aber versuch einmal z.B. für eine IWC ocean mit Bandgeometrie 2, die 30 Jahre auf dem Buckel hat, Ersatzteile für Gehäuse oder Titanband zu bekommen.
Entgegen der Darstellung "Große Firma garantiert Langzeitservice (im Sinne von Ersatzteilbereitstellung)" ist o.g. Beispiel ja nur eines von vielen. Ich würde mal - konservativ geschätzt - davon ausgehen das es nicht 99% der heute an der 30-Jahre-Marke kratzenden Uhren sind die noch gut serviciert werden können sondern gerade mal 50%. (Als Durchschnitt der Branche zu sehen - nicht von einzelnen Herstellern. Da wissen wir ja, dass es solche gibt welche es mit ET's auf lange Sicht etwas ernster nehmen als andere)
Das Beispiel der Ocean widerlegt aber auch sachlich das Argument "groß ist sicher". Warum?
Woran liegt's denn, dass es für diese eine (und noch ein paar andere aus der Linie und Zeit) nicht mehr gibt? Weil IWC verlernt hat Titan zu bearbeiten?
1. hat man im Laufe der Zeit gelernt, dass Titan zu weich ist um daraus langlebige Metallbänder zu machen.
2. Hat man sich bei den ersten Entwürfen von "Innovation" leiten lassen, "Innovation" in Sinne von: "wir machen jetzt mal was ganz anderes als bisher". Wie sich im Laufe der Zeit herausstellte vor diese Innovation dann nur eine "Scheininnovation" (dazu komm' ich später nochmal). Die letzte Bandgeometrie war letztlich das Maß der Dinge, illustrerweise technisch so gelöst wie Bänder gemacht wurden bevor die PD-Designer meinten die Uhrenbranche revolutionieren zu müssen. Leider hat die Beendigung der Partnerschaft PD/IWC dem Ganzen dann den Todesstoß gegeben.
Vom technischen mal abgesehen, was hindert IWC daran auch heute noch die benötigten Teile für's SAV herzustellen? Und da sind wir eben genau beim Thema "groß vs. klein":
Die machen das einfach aus monetären Gründen nicht. Der Aktionär hat nichts davon Teile herstellen zu lassen die dann zu Kulanzpreisen in alte Uhren eingebaut werden.
Man nimmt eher in Kauf in "einzelnen Fällen" eine schlechte Nachrede zu haben als sich dem Problem ernsthaft und langfristig anzunehmen.
Das sollte mal ein Kleiner machen! Wenn zu mir einer kommt und sagt "Sie haben mir vor 20 Jahren eine Uhr verkauft die heute nicht mehr reparierbar ist!" wird von mir sicher nicht die Antwort kommen "ist mir egal!" oder "Mein Aktionär will das nicht!" oder "Sie sind leider ein bedauerliches Einzelschicksal!". Dann nehm' ich die Uhr und reparier' sie, koste es (für mich als Hersteller!) was es wolle. Schlimmstenfalls - wenn alle Stricke reißen - wandle ich den ganzen Deal sogar noch nach so langer Zeit um den Kunden nicht zu verlieren. In Wahrheit ist es nämlich so, dass die kleinen Hersteller mit jedem Stück ihrer Produkte persönlich haften. Im Gegensatz zu den großen Herstellern geht es bei uns wie auch bei vielen anderen Kleinen ja nicht nur darum irgendjemandem eine Uhr zu verticken sondern davon auch leben zu können. Wie lange soll ich denn von meiner Arbeit leben und meine Familie ernähren wenn ich Leute beschei..e?
Die Garantie für Langzeit-Servicierbarkeit hat nichts mit der Größe des Herstellers zu tun sondern einzig mit der Art und Weise wie das Produkt gezeichnet und gebaut wurde. Beispiel: Wenn IWC der Ocean einen konventionellen Bandanstoß spendiert hätte, hätte man das Problem heute nicht. Selbst wenn es das dazu passende Titanband nicht mehr gäbe, ein Velcro findet sich noch immer am Zubehör-Markt. Würden die Hersteller nicht immer neuere Kronen-Geometrien und Formen/Materialkombinationen entwerfen (als Beispiel) dann könnte man die Uhren auch noch in vielen Jahren mit generischen Teilen abdichten. Warum Labeln wir z.B. unsere Kronen nicht, warum verwenden wir konventionelle Dichtsysteme? Damit unsere Produkte zukünftig nicht von uns abhängig sind und jeder einigermaßen ausgebildete Fachmann weltweit unsere Uhren zur Freude des Besitzers perfekt instand setzen kann (und dazu gehört vor allem Dichtheit)
Ansonsten kämen mir grad so spontan die Sidérale in den Sinn, das Konstantkrafttourbillon, der digitale Ewige Kalender und vielleicht noch der neue Timezoner (dessen Entwicklung zugegebenermassen nicht von IWC selbst ist). Im erschwinglichen Bereich z.B. das SafeDive System der neuen Aquatimer Serie, der Monopusher Chronograph in der Portofino Linie oder das 89361 Kaliber mit Flyback und Anzeige der Stoppzeit wie in einer normalen Uhr. Daneben gibt es noch eine Anzahl kleinerer Dinge wie z.B. Keramikklinken im Pellatonaufzug, neu auch mit Keramikrad oder Keramiklager.
Und damit sind wir beim Thema "Scheininnovation":
Die Liste oben ist da ein gutes Beispiel dafür. Da ist nichts dabei was nicht schon da war oder einen echten Vorteil gegenüber dem vorherigen technischen Stand bringt. Natürlich klingt "Keramikklinke" toll und "innovativ". Keine Frage. Braucht aber keiner, weder die Uhr um zu funktionieren noch deren Träger. Wenn ich mir aber 852/853er aus den 50er-Jahren ansehe dann sehen die darin verbauten CuBe-Klinken natürlich nicht mehr ganz taufrisch aus. Hey, nach über 50 Jahren? Selbst wenn ich die Dinger erodieren lassen würde kosten die wahrscheinlich noch immer weniger als die identen in Keramik. Mir geht's hier auch nicht darum die IWC zu bashen, als ehemaliger Mitarbeiter kenn' ich mich mit den Produkten halt ein wenig besser aus und erlaube mir durchaus eine kritische Meinung dazu.
Und damit bin ich beim eigentlichen Thread: Warum empfinden wir als Uhren-Fangemeinde (ich erlaub' mir mal mich auch dazuzuzählen, zumal es ja für mich Beruf und Leidenschaft vereint) die Entwicklungen der letzten Jahre als eher langweilig?
Weil die meisten - großen - Marken es sich leisten können Schein-Innovationen erfolgreich zu vermarkten. Das geht soweit, dass relativ banale Abfallprodukte anderer Branchen als Meilensteine in der Uhrentechnik angepriesen werden. Da gibt es Dinge die einzig und allein den Sinn und Zweck haben die menschliche Wertschöpfung (und damit Personalkosten) am mechanischen Uhrwerk zu reduzieren und alle klatschen brav und sagen "Wow, welch Innovation". Vorerst. Die wachsende kritische Zurückhaltung vieler Märkte spüren wir ja gerade alle. Die Industrie hat einfach den Bogen überspannt (heiße Luft immer teurer zu verkaufen) und erntet jetzt die Früchte dafür. Schauen wir einfach mal was kommt wenn wir die Talsohle mal erreicht haben. Für die "Kleinen" mache ich mir wenig Sorgen. Die werden das gut durchtauchen, schließlich hängt ihre Existenz dran. Bei einigen "Großen" bin ich mir nicht sicher ob da nicht irgendwann der Investor den Stecker zieht wenn nicht nur - wie aktuell - die Gewinne ausbleiben sondern darüber hinaus Verluste entstehen. Dann wird's lustig mit Service. Die Herren Rupert, Arnault, Pinault, Biver und Hayek (um nur einige zu nennen) werden dann aber nicht an die Haustür gehen wenn einer klingelt weil seine Uhr nicht mehr funktioniert.
beste Grüße
Richard